Wie die Stadt Wien unzählige wissenschaftliche Erkenntnisse für konkrete Anwendungen im Alltag der Wiener nutzt.
Seit dem Jahr 2019 dient die Bereichsleitung für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaftsstandort in der Magistratsdirektion der Stadt Wien als Schnittstelle zu Hochschulen und Universitäten. Dabei werden gemeinsam mit Bildungseinrichtungen und der Stadtverwaltung Forschungsprojekte initiiert. Hinzu kommen Veranstaltungsformate, bei denen Vertreter der Stadt und Forschenden zu unterschiedlichsten Themen die konkrete Umsetzung und den Nutzen für die Wiener koordinieren.
Wie sieht die Zusammenarbeit der Stadt Wien mit Hochschulen und Universitäten aus?
Franz Oberndorfer: Uns geht es um eine inhaltliche Kooperation. Entweder es kommen Themen seitens der Stadt, mit denen wir auf die Hochschulen zugehen, ob sie uns etwa bei einem Forschungsthema unterstützen können. Es funktioniert auch umgekehrt und Hochschulen treten an uns mit Forschungsvorhaben heran, für die sie Partner suchen. Es gibt Projekte, bei denen es Förderungen gibt, wie durch den WWTF (Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds, Anm.), der Grundlagenforschung fördert. Die Wiener Wirtschaftsagentur wiederum unterstützt Hochschulen in Kooperation mit der Wirtschaft. Zusätzlich gibt es bei der Kulturabteilung (MA 7) Fördercalls und Wissenschaftsstipendien, die kleinere Projekte unterstützen. Die Abteilung für Wirtschaft, Arbeit und Statistik (MA 23) fördert Fachhochschulen und finanziert Stiftungsprofessoren. Das alles ist sehr wichtig für den Standort.
Geht es hier um rein akademische Projekte oder ist immer ein Praxisbezug erforderlich?
Oberndorfer: Wir stehen vor großen Herausforderungen und Themen, die uns sehr beschäftigen, wie etwa der Klimawandel, die demografischen Veränderungen oder die Digitalisierung, die im Vordergrund stehen. Wir betreiben keine Grundlagenforschung, sondern es muss einen Praxisbezug geben.
Was genau sind die Schwerpunkte?
Oberndorfer: Die Kommunikations- und Informationstechnologie oder der Life-Sciences-Bereich, in dem die Stadt Wien sehr gut aufgestellt ist und der weiter forciert wird, wie etwa durch den Ausbau der Medizinischen Universität und der Weiterentwicklung der Präzisionsmedizin. Ein wichtiges Thema ist die Gesundheit im Alter, auch dazu organisieren wir Veranstaltungen. Das muss nicht unbedingt mit der Digitalisierung zu tun haben, sondern damit, wie Menschen im Alter länger zu Hause versorgt werden können. Hier gibt es Innovationen von Universitäten und Fachhochschulen, die wiederum Organisationen der Stadt Wien aufgreifen und versuchen, sie umzusetzen.
Wir sprechen also eher über Networking?
Oberndorfer: Es geht durchaus um Networking und Wissensaustausch, aber das Ziel ist nicht nur das Netzwerk, sondern wir fungieren als erster Filter, ob es eine realistische Chance gibt, Projekte auch umzusetzen. Erst danach organisieren wir Veranstaltungen in unterschiedlichen Formaten, bei denen wir Forschung und die Stadt zusammenbringen. Reines Networking organisieren wir auch, bei dem geht es aber nicht unbedingt um die Realisierung von Vorhaben, sondern um einen Ideenaustausch. Unser primäres Ziel bleibt aber die Umsetzung von konkreten Projekten und das Zustandekommen von Kooperationen.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, bei dem Ihre Abteilung von der Idee bis zur Realisierung dabei war?
Oberndorfer: Eines meiner Lieblingsprojekte ist die Gas-Detektion. Dabei werden kleine Sensoren wie auf einer Schnur aufgefädelt und entlang einer Gasleitung verlegt. Damit kann punktgenau und sehr frühzeitig detektiert werden, wo es ein Gas-Leck gibt. Dazu gab es an der Uni Wien ein Forschungsprojekt, das in einer Kooperation mit den Stadtwerken mündete und nun weiterverfolgt wird. Das Projekt ist insofern sensationell, da es sich um ganz kleine Sensoren handelt, die in den Leitungen wie kleine Knöpfe an einer Schnur verbaut sind. Das funktioniert nicht ohne Quantenphysik.
Geben Sie bzw. die Stadt Wien dabei Themen vor, um die sich Forschungseinrichtungen kümmern sollen, oder treten diese proaktiv an Ihre Abteilung heran?
Oberndorfer: Bei den Gasdetektoren kam die Uni auf uns zu, stellte die Entwicklung vor und war auf der Suche nach Partnern. Bei einer unserer Veranstaltungen ergab sich ein großes Interesse der Wiener Stadtwerke und das hat schließlich auch funktioniert. Oft kommt auch der Impuls aus der Stadt Wien heraus, wenn einzelne Abteilungen einen Bedarf an bestimmten Entwicklungen haben. Dann bringen wir ebenfalls Forschungseinrichtungen mit den betreffenden Personen bei der Stadt zusammen. Es funktioniert also in beide Richtungen.
Wie kann man sich Ihre Veranstaltungen vorstellen?
Oberndorfer: Oftmals sind das Treffen in kleinerem Kreis, etwa 15 Personen. Der setzt sich aus Experten der Hochschulen und Vertretern der Stadt Wien zusammen.
Welche Bedeutung hat Wissenschaft und Forschung für die Stadt Wien im Allgemeinen?
Oberndorfer: Das sind ganz wichtige und zentrale Bausteine, denn Wissen ist die wichtigste Ressource, über die wir verfügen. Wir haben eine auf Wissen basierende Ökonomie, also auch der Wohlstand hängt von Wissenschaft und Forschung ab. Viele Fragen, die das Leben und die Stadt betreffen, können geklärt werden, wenn Wissenschaftler und Experten eingebunden sind. Daher ist uns diese Kooperation sehr wichtig. In Wien verfügen wir
über den Luxus und die Möglichkeit, mit insgesamt 26 Hochschulen kooperieren zu können. Das ist ein sehr breites Spektrum und es gibt kaum ein Fachgebiet, in dem wir keine Experten auf Hochschulebene haben. Das macht unsere Arbeit wirklich spannend. Das umfasst übrigens auch die Musik- und Kunstuniversitäten. Hier gibt es etwa in jedem Jahr ein Weihnachtskonzert, das auf Stationen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen übertragen wird. Studenten gehen zum Teil direkt in diese Einrichtungen und bringen Musik direkt zu den Menschen. Das macht mir persönlich auch viel Spaß.
Bei KI, Digitalisierung und IT im Allgemeinen wird immer wieder gesagt, dass es zwar bei uns die besten Köpfe gibt, es aber an finanzieller Unterstützung und Möglichkeiten mangelt. Müsste die Stadt – oder der Staat – hier mehr Geld in die Hand nehmen?
Oberndorfer: KI ist sicher ein zentrales Thema mit sehr großen Auswirkungen, und die Entwicklung ist lange noch nicht abgeschlossen. Die Stadt Wien unterstützt die Nutzung der KI. Der WWTF hat etwa einen Call aufgelegt, bei dem die Forschung von KI und Machine Learning im Gesundheitsbereich an den Hochschulen unterstützt wird. Im Allgemeinen müssten die Stakeholder sich eine KI-Strategie überlegen und das auch dementsprechend dotieren. Natürlich könnte mehr gefördert werden, denn es kann nie genug sein. Aber man darf in Zeiten der rasanten Weiterentwicklung von KI und Digitalisierung nicht auf andere Bereiche vergessen, wie etwa auf die Geistes- und Sozialwissenschaften. Sie sind zumindest genauso wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft und die kritische Auseinandersetzung. Das gilt auch für Kunst und Kultur, denn Wien ohne Kunst und Kultur ist unvorstellbar. Hier muss die Balance gehalten werden.
Ist es in einer Großstadt wie Wien überhaupt möglich, Digitalisierung und KI breitflächig und zeitnah um- und einzusetzen? Oder funktioniert das nur langfristig, wobei die Technologien von heute bereits übermorgen wieder überholt sein können?
Oberndorfer: Es muss rasch gehen, was eben mit der Entwicklung von neuen Technologien zusammenhängt. Allerdings können in der Verwaltung Projekte nicht von heute auf morgen umgesetzt werden. Hier gibt es Ausschreibungen, es muss geklärt sein, wie neue Technologien in der Praxis implementiert werden können. Das dauert eine gewisse Zeit. Es ist aber nicht nötig, alle Pläne über Bord zu werfen, nur um KI zu implementieren, sondern Entwicklungen werden laufend angepasst. Im Gesundheitssystem wird KI zur Bildgebung bereits eingesetzt, hier gibt es schon konkrete Projekte. Bevor man KI einsetzt, müssen allerdings alle notwendigen Daten digital in einer entsprechenden Qualität zur Verfügung stehen. Im Allgemeinen dauert die Umsetzung eines Projekts etwa zwei Jahre. Wir sind hier auch im Austausch mit anderen Städten und Wien steht hier sehr gut da.
Wie geht es der Stadt Wien in Bezug auf den Fachkräftemangel bei IT-Jobs? Welchen Bedarf gibt es, kann dieser gedeckt werden und bildet die Stadt Wien selbst Fachkräfte in diesem Bereich aus?
Oberndorfer: Das ist für alle Organisationen eine Herausforderung, natürlich auch für die Stadt Wien. Die Stadt Wien hat etwa 67.000 Mitarbeiter, davon wird rund ein Drittel in den kommenden acht Jahren in den Ruhestand gehen. Das betrifft alle Bereiche, also gibt es einen großen Bedarf an neuen Mitarbeitern. Dafür veranstaltet die Stadt Wien Job-Messen, und auch wir versuchen, in unserem kleinen Bereich Maßnahmen zu setzen. Es gibt etwa eine Plattform für Abschlussarbeiten, bei der die Möglichkeit für Studenten besteht, zu Themen der Stadt Abschlussarbeit zu schreiben. Dienststellen der Stadt geben Themen in die Plattform, oder Studenten schlagen Themen vor, die dann von Dienststellen aufgegriffen werden. Dabei setzen sie sich mit konkreten urbanen Fragestellungen auseinander, und es besteht die Möglichkeit, dass daraus ein Jobangebot entsteht. Zudem haben wir die Serie ‚Entdecken Sie…‘ ins Leben gerufen, bei der wir versuchen, die Bevölkerung für Wissenschaft und Forschung zu begeistern und zeigen, dass die Stadt Wien eine forschungsaffine Stadt ist.
Die Stadt Wien fördert Ausbildungen etwa zum Kindergartenpädagogen oder für Pflegekräfte. Gibt es solche Programme auch bei KI und IT?
Oberndorfer: Wir nehmen Akademiker, suchen KI-Experten und Experten, die beispielsweise bei Data-Science über Erfahrung verfügen. Die Stadt selbst bietet in ihrer eigenen Verwaltungsakademie IT-Weiterbildung und spezielle E-Learning-Programme für Mitarbeiter an. Es werden in Zukunft auch neue Berufsbilder notwendig, um die aktuellen Themen möglichst gut bewältigen und Projekte umsetzen zu können. Derzeit gibt es etwa 2.800 angestellte Akademiker bei der Stadt Wien, von denen beinahe ein Drittel in den kommenden acht Jahren in Pension geht. Da geht es nicht nur um KI und Digitalisierung, sondern auch um Experten zur Energiewende, die sich etwa mit Wasserstoff und Geothermie beschäftigen. Dafür brauchen wir auch IT-Fachkräfte und Menschen mit technischem Background in den unterschiedlichsten Bereichen. Die Kunst wird sein, Akademiker zu finden, die über eine fachübergreifende Expertise verfügen.
Lange Zeit über hatten Beamtenjobs bei der Stadt Wien ein langweiliges Image. Hat sich das geändert?
Oberndorfer: Auf jeden Fall. Wir sind bei unseren Veranstaltungen mit jungen Akademikern in Kontakt, die die Stadt sehr spannend finden, da wir versuchen, das Klima-Thema umzusetzen und im Gesundheitsbereich sehr viel unternehmen und Daseinsleistungen für die Bevölkerung erbringen. Das kommt bei den jungen Menschen sehr gut an. Die öffentliche Hand hat vor allem die Aufgabe, Leistungen, die jeder Bewohner braucht, leistbar und in der entsprechenden Qualität zur Verfügung zu stellen. Das ist ein sehr breites Spektrum und dafür brauchen wir Mitarbeiter, die von ihrem Job überzeugt sind und ihn gerne machen.