Transportgesellschaften in 13 Ländern Europas mit rund 1.270 Zügen täglich transportieren jährlich 88,4 Millionen Nettotonnen Fracht.
Die 2020er werden die Renaissance des Schienengüterverkehrs bringen – wir gestalten die Zukunft“ – dieses Motto gab der Vorstandssprecher der Rail Cargo Group der ÖBB, Clemens Först, aus. Güter aus dem Agrarbereich, Kfz, Baustoffe, chemische Gefahrengüter und Produkte, Holz, Papier oder Stahl sind nur einige jener Lasten, die jährlich von mehr als 5.800 Mitarbeitern in 24.231 Güterwagen von 16 Rail Cargo-Terminals aus auf die Reise geschickt werden. Die Energiekrise und der Kampf gegen den Klimawandel machen den Schienenverkehr zu einem unverzichtbaren Zukunftsfaktor in der Logistik. Clemens Först gibt einen Einblick in die Unternehmensphilosophie.
Wenn man den Begriff ÖBB Rail Cargo Group hört, denkt man in erster Linie an Güterzüge, doch dahinter steckt ein internationaler Logistik-Konzern. Skizzieren Sie bitte kurz die wichtigsten Unternehmensteile.
Clemens Först: Wir sind das nachhaltige logistische Rückgrat der Wirtschaft und führender Bahnlogistiker in Europa. Unseren Kunden bieten wir multimodale End-to-End-Logistiklösungen von der ersten bis zur letzten Meile für unterschiedlichste Branchen quer über den gesamten eurasischen Kontinent. Wir kümmern uns nicht nur um den reinen Transport an sich, sondern auch um zusätzliche logistische Leistungen wie etwa Umschlag, Lagerung oder Verzollung. Das unterscheidet uns von reinen Schienengüterverkehrsunternehmen. Insgesamt sind wir in 18 Ländern tätig, seit Kurzem auch in Serbien und China mit eigenen Tochtergesellschaften.
Wie viel macht der klassische Güterverkehr auf der Schiene in Ihrem Unternehmen aus?
Först: Wenn mit der Definition des klassischen Schienengüterverkehrs der Rohstoffverkehr gemeint ist, dann liegt der Anteil bei rund 60 Prozent. Die restlichen Prozente setzen sich überwiegend aus intermodalen und multimodalen Transporten zusammen.
Welches sind die häufigsten Transporte bzw. Ziele?
Först: Wir haben im Jahr 2022 über ein Drittel der transportierten Nettotonnen in der Stahl-, Baustoff- und Mineralölindustrie abgewickelt. Unsere Hauptmärkte sind Österreich und Ungarn sowie die drei Hauptachsen durch Österreich – Donau, Semmering und Brenner. 80 Prozent unserer Transportleistung sind international.
Wie viele Züge und Waggons der Rail Cargo Group rollen pro Tag über die Stecken?
Först: Wir bringen jedes Jahr rund 464.000 und damit täglich 1.270 Züge sicher an ihr Ziel.
Wird die ‚Rollende Landstraße‘ (ROLA) auch in Zeiten der Elektrifizierung ihre Bedeutung behalten?
Först: Diesel versus Strom ist kein Alleinstellungsmerkmal für die Nutzung der ROLA. Es gibt zahlreiche Gründe, warum Hunderttausende Lkw den Transit durch die Alpen die ROLA nutzen: Ruhezeiten, Einsparung von Sondermauten, Lärm- und Stauvermeidung, diverse Fahrverbote für Lkw über 7,5 Tonnen wie z.B. Ferienreise-, Wochenendfahr- oder Nachtfahrverbote, Genehmigungskontingent für EU-Drittstaaten und viele mehr. Bei 2,5 Millionen Lkw im Brennertransit pro Jahr, mit steigender Tendenz, wird das Thema Lkw-Verlagerung auch weiterhin eine große Rolle spielen – nicht nur im Sinne der Umwelt und der Sicherheit, sondern auch, um die Lebensqualität der Anrainer zu bewahren. Weiters gehen wir davon aus, dass die E-Mobilität im Güterfernverkehr die Verbrennungstechnologie kurz- bis mittelfristig noch nicht ersetzen wird.
Mit Ihrer End-to-End-Lieferung könnten Sie theoretisch die ‚Rollende Landstraße‘ ersetzen bzw. die ‚letzte Meile‘ übernehmen?
Först: Die verladende Wirtschaft trifft die Wahl des Verkehrsmittels. Aufgrund fehlender Anreize in vielen Nachbarländern fällt die Wahl des Verladers bzw. dessen Spediteurs auf einen Lkw-Transport. Hier setzt die ROLA als Glied in der Transportkette des Straßenfrächters an und bietet für eine Teilstrecke im internationalen Straßengüterverkehr durch Österreich das System ROLA. Das Ziel muss es sein, mittels fairer Rahmenbedingungen auch den Gesamttransport überwiegend auf der Schiene abzuwickeln und nur die sprichwörtliche erste und letzte Meile auf der Straße.
Welche Vorteile bringen die von Ihnen betriebenen Containerterminals?
Först: Die an zentralen Korridoren und wichtigsten nationalen Wirtschaftszentren gelegenen Terminals bilden das zentrale Bindeglied einer gesamtheitlichen intermodalen Transportkette. Damit schaffen wir die Basis für ein breites Leistungsspektrum und sorgen für eine effiziente Koordination zwischen Verladern, Spediteuren, Operateuren sowie Eisenbahnverkehrsunternehmen, aber auch Reedereien. Vom Umschlagen der intermodalen Ladeeinheiten bis zur Abholung und Zustellung von Zügen und Wagengruppen bieten wir das gesamte Leistungsspektrum zuverlässig aus einer Hand, wobei unsere Kernaufgabe der Umschlag von Containern, Wechselbehältern sowie Sattelaufliegern ist. Terminalkapazitäten sind dabei entscheidend für die Leistungsfähigkeit unseres intermodalen TransNET und der einzelnen TransFER-Verbindungen. Innerhalb der ÖBB werden die bestehenden Terminals deshalb laufend weiterentwickelt und ausgebaut.
Der Transport per Bahn galt bereits bisher als umweltfreundlich. Kann die Rail Cargo Group noch ‚grüner‘ werden und wie?
Först: Die Schiene ist per se das nachhaltigste Transportmittel – schon deshalb, weil sie einen emissionsfreien Gütertransport ermöglicht. Alleine die ÖBB Rail Cargo Group spart mit ihren Güterverkehrsleistungen jährlich eine Million Tonnen CO2 in Österreich ein, europaweit sind es noch mehr. In Österreich wird für Transporte 100 Prozent grüner Bahnstrom genutzt.
Wir setzen auch verschiedene Maßnahmen zur Auslastungsoptimierung im Güterverkehr. Die Maßnahmen reichen von längeren und schwereren Zügen, über Schulungen der Triebfahrzeugführer bis hin zu innovativem Wagenmaterial. Denn modernes Wagenmaterial erlaubt es, mehr Tonnage zu transportieren und damit Energie zu sparen. Auch die Routen werden regelmäßig optimiert. Leerfahrten sollen vermieden werden.
Darüber hinaus betreiben wir unsere Lagerstandorte Wien Freudenau und Lenzing in Österreich klimaneutral. Wir erfassen hier den Treibhausgasausstoß, reduzieren diesen kontinuierlich und gleichen unvermeidbare Emissionen durch Investitionen in Klimaschutzprojekte aus. Mit der Klimaneutralität des Lagerstandorts Lenzing unterstützen wir Windenergie-Projekte in Bandırma in der Türkei. Für das Lager Wien Freudenau investieren wir in regionale Projekte im Naturpark Karwendel in Österreich. Zusätzlich unterstützen wir ein zertifiziertes Waldschutzprojekt in Brasilien.
Dass wir am richtigen Weg sind, zeigen uns die vielen Zertifikate und Ratings in den Bereichen Corporate Social Responsibility und Nachhaltigkeit, wie ‚Gold‘ bei EcoVadis, ‚Sehr gut‘ beim ESG-Rating von imug | rating, die Steigerung von einer C- auf eine B-Bewertung beim prestigeträchtigen CDP-Rating und B- beim ‚Rail Sustainability Index‘.
Auch im Transportgewerbe ist der Fachkräftemangel unübersehbar. Wie stark spüren Sie das Fehlen von Arbeitskräften und welche Maßnahmen ergreifen Sie dagegen?
Först: Von einem Personalmangel kann keine Rede sein. Was stimmt, ist, dass wir einen hohen Bedarf an neuen Kollegen haben. Insgesamt arbeiten bei den ÖBB 42.600 Mitarbeiter bei Bus und Bahn sowie zusätzlich rund 2.000 Lehrlinge in 130 verschiedenen Berufsbildern. Bis 2028 werden wir als ÖBB rund 18.000 neue Kollegen aufnehmen. Das ist unter anderem bedingt durch den Generationenwandel – rund ein Fünftel der aktuellen Belegschaft geht in den nächsten Jahren in Pension. Dadurch werden sich also rund 40 Prozent der gesamten Belegschaft verändern. Uns sind diese Entwicklungen schon lange bewusst, daher wurde die Ausbildung und die Personalsuche im vergangenen Jahrzehnt forciert. Jedes Jahr suchen wir rund 3.000 neue Mitarbeiter für unsere zukunftsfitten Jobs. Wir bieten umfassende Möglichkeiten für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, flexible Arbeitszeitmodelle, vielfältige Aufstiegschancen, Gesundheitsmanagement und vieles mehr an.
In Ihrem Vorstand und der Geschäftsleitung finden sich eine Frau und zwölf Männer. Gibt es zu wenige qualifizierte Frauen im Logistik-Business? Wie versuchen Sie, mehr Frauen in die Führungsetage zu bekommen?
Först: Frauen sind ein entscheidender Teil unseres Unternehmenserfolgs und wir sind überzeugt, dass uns diverse Teams stärker machen. Wir haben uns daher zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil im ÖBB-Konzern bis 2027 von aktuell 15 auf 17 Prozent zu steigern. Im Güterverkehr liegt der Frauenanteil in Österreich aktuell bei rund 37 Prozent. Wir wollen die traditionell männlich geprägten ÖBB weiblicher machen und sind uns dabei bewusst, dass gerade Führungskräfte eine wichtige Vorbildfunktion einnehmen. Daher wollen wir auch in diesen Positionen mehr Frauen aufnehmen bzw. Frauen intern fördern. Konkret setzen wir dafür verschiedenste Maßnahmen um. Zum Beispiel wurde ein Frauennetzwerk etabliert, um Austausch und Vernetzung im Unternehmen zu fördern. Neben einer Gleichstellungsbeauftragten gibt es auch ein Mentorinnen-Programm für Führungskräfte. Wir freuen uns sehr, dass der Konzern erst vor Kurzem einen wichtigen Schritt gesetzt hat: Seit 1. Juli haben wir erstmals eine Frau als Finanzchefin der ÖBB Holding.
Mit der ‚neuen Seidenstraße‘ will China auch die Märkte in Europa stärker erschließen. Ist das eine große Konkurrenz für die Rail Cargo Group, oder sehen Sie der Entwicklung gelassen entgegen?
Först: Seit 1. Jänner 2023 sind wir mit einer Niederlassung in Shanghai operativ tätig. Dabei soll vor allem der Transportweg auf dem Mittelkorridor (Kasachstan–Aserbaidschan/ Georgien–Schwarzes Meer–Rumänien–Mittel- und Zentraleuropa) weiter ausgebaut werden. So bieten wir unseren Kunden von Europa bis nach Asien End-to-End-Logistik aus einer Hand und schaffen kosteneffiziente und umweltfreundliche Alternativen zu Seeund Luftfracht. Und das nicht nur als Operator-Dienstleistung, sondern auch als multimodale End-to-End-Logistiklösungen für Industriekunden. So können wir für den gesamten eurasischen Raum intermodale Transporte, Trucking, Verzollung, Umschlag samt speditionellen Zusatzleistungen und mehr anbieten. Daher versteht es sich von selbst, dass wir die intermodale Bahnverbindung zwischen China und Europa nicht als Konkurrenz, sondern als perfekte Ergänzung zu unserem innereuropäischen TransNET sehen.
Gibt es etwas, was Sie nicht transportieren können?
Först: Wenn das Transportgut das maximale Höhen- und Breitenprofil nicht überschreitet, sind dem Schienengüterverkehr keine Grenzen gesetzt. Wir transportieren neben unseren klassischen Gütern, wie Rohstoffen, Autos, Konsumgütern, Mineralöl, Holz, Containern oder Abfall auch ausgefallene, wie Zirkus-Equipment, ganze Züge, wie die neuen TGVs aus Frankreich oder die Sessel und Barhocker für das Publikum der ‚Starnacht‘ in Mörbisch, einem Schlager-TV-Event im Burgenland. Hinzu kommt, dass wir nicht nur Transporte von A nach B anbieten, sondern auch zusätzliche logistische Leistungen wie etwa Umschlag, Lagerung oder Verzollung.