Das Pharma-Labor der Zukunft entsteht in der Seestadt

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Der japanische Konzern Takeda errichtet ein hochmodernes Labor,
in dem Produktionsprozesse für neue Medikamente entwickelt werden.

Die Baufortschritte sind unübersehbar: In der Seestadt Aspern investiert Takeda einen dreistelligen Millionenbetrag in den Neubau des „Labors der Zukunft“. Der Spatenstich für das umweltfreundliche Gebäude erfolgte im Herbst 2023, die neue Forschungs- und Entwicklungseinrichtung soll im Jahr 2026 ihren Betrieb aufnehmen. Damit spielt Österreich eine Vorreiterrolle, was das Design von Laboren betrifft. Im Gespräch: Manfred Rieger, Geschäftsführer und Standortleiter des Forschungs- und Entwicklungsbereiches von Takeda in Österreich.

Was darf man sich unter einem ‚Labor der Zukunft‘ vorstellen?
Manfred Rieger: Das Konzept des ‚Labors der Zukunft‘ reflektiert die Veränderungen unserer Arbeitswelten in verschiedenen Bereichen. Es geht darum, die Effizienz zu steigern, die Zusammenarbeit zu verbessern und Kooperationen zu intensivieren. Ein zentrales Thema ist die Digitalisierung, einschließlich Robotik und Automatisierung. Es geht darum, wie wir Daten verwenden, um Entwicklungsprozesse schneller und effizienter zu gestalten. Wir verfolgen das sogenannte Ballroom-Konzept, bei dem es nur wenige fixe Zwischenwände bzw. modulare Laborzwischenwände gibt und fast die gesamte Laborversorgung von der Decke kommt. Dadurch bleibt das Labor flexibel, sodass Wände verschoben und Räume an die jeweiligen Projektanforderungen angepasst werden können.

Braucht es zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen, wenn alles in einem Großlabor passiert? Laufen Mitarbeiter in Gefahrenanzügen herum – so, wie man es aus Filmen kennt?
Rieger: Hochsichere Laboreinheiten, bei denen Forscher in speziellen Schutzanzügen arbeiten, sind in Österreich sehr selten. Takeda betreibt ein solches Labor, allerdings nicht in der Seestadt. Natürlich gibt es Zutrittskontrollen und die Notwendigkeit, die Kleidung zu wechseln, was in jedem Laborbetrieb üblich ist. Der Zugang zum neuen Labor erfolgt über eine Schleuse. In diesem offenen, flexiblen Laborraum werden die üblichen Sicherheits- und Hygienevorschriften für F&E-Labors eingehalten.

Wird das neue Labor verstärkt auf den Einsatz von Digitalisierung und KI ausgerichtet?
Rieger: Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind essenzielle Themenbereiche, auf die wir verstärkt den Fokus legen. Bei der Entwicklung neuer Medikamente fallen zahlreiche Daten an, die so aufbereitet werden, dass sie effizient genutzt werden können. Für
KI-Systeme sind diese Daten das Fundament, um Muster zu erkennen, Schlussfolgerungen zu ziehen und Vorhersagen zu machen. Dadurch können Entwicklungsprozesse effektiver, schneller und ressourcenschonender gestaltet werden. Das Sammeln von Daten hilft, einen Teil der Experimente durch Computersimulationen (insilico) durchzuführen, um schneller und auch ressourcenschonender Einsichten zu gewinnen. Erfolg versprechende Simulationskandidaten werden dann in ‚echten‘ Experimenten bestätigt, und die Daten fließen wiederum in verbesserte Simulationen. All diese Technologien, gemeinsam mit Automatisierung und Robotik, werden eine wichtige Rolle im neuen Gebäude spielen.

Bauen Sie die gesamte IT-Architektur selbst auf oder ist sie an ein Rechenzentrum ausgelagert?
Rieger: Die gesamte Infrastruktur wird von Takeda betrieben. Globale Teams arbeiten bereits jetzt am Design des Gebäudes mit, und im Untergeschoß unseres künftigen Gebäudes wird es ein eigenes Rechenzentrum vor Ort geben. Es existiert eine globale Cybersicherheit, und die IT wird nach eigenen Takeda-Standards aufgebaut und umgesetzt. Natürlich gibt es auch Kooperationen, da wir nicht alles selbst planen können.

Weshalb haben Sie gerade die Seestadt Aspern als Standort gewählt?

Rieger: Die Standortwahl war ein umfangreicher Prozess. Ein Gebäude in dieser Größenordnung baut man hoffentlich nur einmal in einer Generation und für eine Nutzung über mehrere Jahrzehnte. Die Frage war, wo wir das ‚Labor der Zukunft‘, so wie wir das neue Gebäude nennen, errichten werden. Wir haben verschiedene Standorte hinsichtlich der Verfügbarkeit von öffentlichen Anbindungen, Schulen, Kindergärten, Freizeitmöglichkeiten und der Attraktivität für internationale Talente evaluiert. Die Seestadt Aspern erfüllte diese Kriterien am besten.

Sollen Mitarbeiter sich auch privat in der Seestadt ansiedeln und fördern Sie das?
Rieger: Das könnte mit der Zeit ein Thema werden, da es in der Seestadt mehrere Schulkomplexe gibt, der Bildungseinrichtungen
vom Kindergarten bis zur Matura umfasst. Zudem gibt es eine U-Bahn-Anbindung, und dieser Stadtteil entwickelt sich rasant, auch hinsichtlich der Wohnmöglichkeiten.

Es soll an neuen, innovativen Therapien für Krankheiten gearbeitet werden, für die es bisher noch keine oder nur unzureichende Behandlungsmöglichkeiten gab. Wo liegen die Schwerpunkte?
Rieger: Wir konzentrieren uns auf die rekombinante Herstellung von Biologika, die in verschiedenen Therapiefeldern anwendbar sind, von der Gastroenterologie und Onkologie bis hin zu seltenen Erkrankungen und Neurowissenschaft. Unser Fokus liegt auf komplexen Proteinen und Proteinen, die mit Zusatzsubstanzen verlinkt sind, um deren Effektivität zu erhöhen. Zusätzlich werden bereits am Markt befindliche Produkte mit der vorhandenen Expertise unterstützt, um am Markt befindliche Takeda-Produkte weiter zu verbessern.

Wie weit wird die Forschung in der Seestadt gehen? Bis hin zu klinischen Studien in Österreich?
Rieger: Wir erhalten im Normalfall aus der Forschung Produktkandidaten und beginnen, einen Entwicklungsprozess zu definieren, um ihn in ein kommerzielles Produkt überzuführen. Wir fangen im Milliliter-Maßstab an und vergrößern bis auf Hunderte Liter, um das Produkt herzustellen. Hier geht es also nicht nur um die reine Prozessentwicklung, sondern auch darum, die Analytik zu begleiten, die Qualitätsvoraussetzungen zu definieren und die regulatorischen Erfordernisse mitzubetreuen. All das kann im neuen Gebäude von unserer österreichischen Organisation unterstützt werden. Die Durchführung klinischer Studien übernimmt eine andere Abteilung.

In der Seestadt haben sich zahlreiche branchenverwandte Start-ups angesiedelt. Haben Sie Kontakt zu Ihren Nachbarn und könnte sich sogar eine Zusammenarbeit ergeben?

Rieger: Wir kennen natürlich unsere Nachbarn und es gibt einige Interaktionen. Wir wollen uns grundsätzlich der Nachbarschaft und Start-ups öffnen, ebenso wie Universitäten und anderen Pharmafirmen. Gerade in der Forschung und Entwicklung ist es bei Takeda üblich, Partnerschaften zu bilden und gemeinsame Projekte voranzutreiben. Auf unserer Homepage sind mehr als 200 Kollaborationen aufgelistet, die Takeda global führt.

Takeda gilt – so steht es auf der Webpage – als ‚Vorreiter bei nachhaltigen und verantwortungsvollen Arzneimittelprodukten‘. Was kann man sich darunter vorstellen?
Rieger: Innovation und Nachhaltigkeit sind zentrale Themen. Es geht darum, umweltverträgliche und nachhaltige Arzneimittel herzustellen, CO2-Emissionen zu vermeiden und alternative Energieträger zu nutzen. Takeda strebt an, bis 2035 an allen Standorten keine Treibhausgasemissionen mehr zu produzieren und bis 2040 in der gesamten Wertschöpfungskette. Gerade in der Seestadt haben wir die Möglichkeit, durch den Total Quality Bildung-Zertifizierungsprozess (TQB, das Gütesiegel der ÖGNB, bewertet unterschiedliche Nutzungen von Gebäuden und prüft sie umfassend auf Nachhaltigkeit, Anm.) das zu tun. Wir werden im neuen Gebäude in der Seestadt keine fossilen Energieträger, sondern Strom aus 100 Prozent Wasserkraft und/oder erneuerbare Energie und zusätzlich Photovoltaik und Geothermie verwenden. Wir werden auch intern Energie rückgewinnen, die wir zur Beheizung oder Kühlung verwenden können und Regenwasser zur Bewässerung unserer Gärten und Terrassen nutzen. Die ersten Berechnungen zeigen, dass wir mehr als 400 Tonnen CO2 einsparen können durch den Ausstieg aus Erdgas. Das entspricht etwas mehr als 100 Haushalten, die Erdgas verwenden. Diese Themen sind insofern wichtig, da Forschung und Entwicklung mehr Energie und Wasser benötigt, als man vermuten würde.

Wie weit wird die neue F&E-Einrichtung mit Universitäten und FHs zusammenarbeiten, und wo rekrutieren Sie Ihr Fachpersonal?
Rieger: Grundsätzlich sind wir an der Zusammenarbeit mit Universitäten und Fachhochschulen interessiert und es gibt bereits Initiativen in diese Richtung. Im neuen Gebäude versuchen wir, dem auch Raum zu geben, und ein Gebäudeteil ist für Konferenzen und Seminare konzipiert. Wir kooperieren viel mit LISA Vienna (LifeScience Austria, Anm.) bei der Organisation von Research & Development in Focus Days, bei denen wir Start-ups dazu einladen, ihre Konzepte zu präsentieren, um sich Industrie-Feedback von unseren Takeda-Experten zu holen. Wir werden im neuen Gebäude auch ein Demo-Labor zur Verfügung stellen, das Universitäten und Start-ups nutzen können. Was die Rekrutierung betrifft, sind wir natürlich sowohl lokal als auch international unterwegs. Allerdings wissen wir, dass die Ausbildung an den Universitäten und FHs in Österreich sehr gut ist, und etwa 80 bis 90 Prozent unserer Mitarbeiter haben eine Ausbildung in Österreich genossen. Innerhalb von Takeda gibt es auch sogenannte Secondment-Programme, im Zuge derer Mitarbeiter aus Japan und den USA in unseren Wiener Labors für zwei bis drei Jahre arbeiten können und danach wieder in ihre ursprünglichen Positionen zurückkehren. Dasselbe gilt auch für unsere Wiener Kollegen, die in den USA oder Japan Erfahrungen sammeln wollen. Dabei geht es um Wissensaustausch und das Kennenlernen der unterschiedlichen Organisationseinheiten in den unterschiedlichen Ländern.

Hilft bei internationalen Mitarbeitern der Umstand, dass Wien als lebenswerteste Stadt der Welt gilt?
Rieger: Wien ist international sehr angesehen und anerkannt, was
das Interesse an internationalen Mitarbeitern erhöht. Besonders aus Japan gibt es viele Anfragen, ob Mitarbeiter für zwei, drei Jahre nach Wien kommen können.

Beim Spatenstich für das neue Takeda-Gebäude war auch Japans Botschafter anwesend. Gibt es einen regen Austausch mit Japan oder ist dort nur der Konzernstammsitz?
Rieger: Als japanisches Unternehmen mit Hauptsitz in Tokio ist der Einfluss Japans sehr groß. Die Wertestruktur eines japanischen Konzerns legt großen Fokus auf Reputation, Integrität und Ansehen, was sich auch in der Unternehmenskultur widerspiegelt. Daraus ergeben sich viele Kontakte mit Japan, aber auch mit den USA. Die Anwesenheit des japanischen Botschafters bei unserem Spatenstich war eine große Ehre.