Georg Krause, CEO des IT-Dienstleisters msg Plaut, über das Gebot einer Digitalisierung, in deren Zentrum der Mensch steht.
Als Spezialist bei der Digitalisierung unterstützt msg Plaut führende Unternehmen auf dem Weg in die digitale Welt. Als Stärken werden europäische Wurzeln und Werte als Grundlage genannt, damit die Digitalisierung dem Menschen und seiner Umwelt nutzt und die Möglichkeiten zur Entwicklung und Entfaltung erweitert – so das msg Plaut-Credo. Doch kann Digitaler Humanismus gegen das Big Business ohne Schranken bestehen? Georg Krause, CEO von msg Plaut, ist davon überzeugt.
Was ist Digitaler Humanismus, einfach erklärt?
Georg Krause: Viele Menschen, die mit dem Begriff ‚digital‘ etwas anfangen können, können auch etwas mit Humanismus anfangen. Jemand, der sich noch nie mit dem Thema beschäftigt hat, hat zumindest ein Bild vor Augen, auch wenn Humanismus kein sehr scharf definierter Begriff ist. Es muss uns gelingen, dass unsere humanistischen, menschlichen und europäischen Werte, die wir über die vergangenen Jahrhunderte für uns verinnerlicht haben und leben, auch in der digitalen Welt ihre Gültigkeit haben. Die digitale Welt darf nicht in eine Richtung kippen, in der diese Werte keine Bedeutung mehr haben, nicht mehr berücksichtigt werden und wir in einen Wilden Westen hineingeraten. Der Mensch, seine Werte und das Wohl der Gesellschaft müssen in den Mittelpunkt der Digitalisierung gestellt werden. Das Erste, was bei allen Revolutionen
Das Erste, was bei allen Revolutionen auf der Strecke bleibt, ist der Humanismus. Wie soll das erst recht in einem boomenden Geschäft wie der digitalen Welt funktionieren?
Krause: Wir leben in keiner idealen Welt. Aber es ist uns bei neuen Entwicklungen wie der Industriellen Revolution gelungen, die größten Auswüchse zu verhindern. Da steht das Positive, die Versorgung der Menschen mit Gütern, im Vordergrund, und die negative Kehrseite, die Ausbeutung der Industriearbeiter, konnte durch entsprechende Arbeitsgesetze reguliert werden. Wir sind derzeit in einer ähnlichen Situation, deshalb ist der Digitale Humanismus so wichtig und wird breit aufgegriffen. Die Europäische Union geht seit einigen Jahren sehr stark in die Richtung, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Es muss uns gelingen, einen gesellschaftlichen Diskurs zu führen, der in einer Regulierung mündet. Auf den guten Willen der Menschen zu hoffen, ist vermutlich zumindest blauäugig. Da braucht es schon Rahmenbedingungen, Regeln, was nicht getan werden darf. In diese Richtung müssen wir bei allen Digitalisierungsthemen gehen, damit die Vorteile und der Nutzen für die Gesellschaft überwiegen und Risiken nicht schlagend werden.
Bei der Industriellen Revolution hat es Jahrzehnte gedauert, bis sich Arbeiterrechte etablieren konnten. Wie lange müssen wir noch auf brauchbare Regeln warten?
Krause: Sollte es rascher und besser gehen? Ja. Die Frage impliziert, dass sich nichts tut, was aber nicht stimmt. Man muss sich die zeitlichen Dimensionen ansehen. Digitalisierung im Sinne der Veränderung unseres Lebens und deren Auswirkungen darauf gibt es seit etwa 30 Jahren, seit dem Aufkommen des Internets und den daraus resultierenden explosionsartigen Entwicklungen. Das ist ein relativ überschaubarer Zeitraum. Natürlich muss es rascher gehen als bei der Industriellen Revolution, da die Entwicklung viel schneller voranschreitet. Wir müssen uns nur die vergangenen Monate ansehen, was ChatGPT in der Wahrnehmung verändert hat. Das erhöht den Druck, etwas zu tun. Das Thema ist vor Monaten in der politischen Diskussion angekommen, was bei der Bewusstseinsschaffung hilft und Druck auf die Politik ausübt, entsprechend rasch für entsprechende Regulierungen zu sorgen. Die EU hat für die Jahre 2020 bis 2030 die ‚Digitale Dekade‘ ausgerufen, in der das bereits festgeschrieben ist. Die Digitale Dekade geht ganz genau in diese Richtung. Für eine neue Materie und Produkte braucht es neue Regeln. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir jetzt die Weichen stellen. Aber natürlich könnte es schneller gehen.
ChatGPT gab es bereits im vergangenen Herbst, und erst Monate später beginnt man, an eine Reglementierung zu denken, die aber alles andere als konkret ist. Werden Regulative nicht immer technischen Veränderungen hinterherhinken?
Krause: Ja, und das hat diverse Gründe. Es beginnt damit, dass Politiker meist keine Experten in der Materie sind und das Problembewusstsein nicht immer gegeben ist. Das ist systemimmanent. Es hängt auch damit zusammen, dass rechtliche Erklärungen immer Präzision erfordern. Zudem verändern sich Dinge rasch, und neue Technologien sind oft noch nicht einmal ausgegoren, wie die Künstliche Intelligenz. Es gibt gute Beispiele in der EU, dass Materien grundlegend geregelt sein müssen. Die Linie der Datenschutzgrundverordnung stimmt. Da geht es um den Schutz der Privatsphäre und um Persönlichkeitsrechte, da sind klassische humanistische Prinzipien verankert. Das gilt auch für Künstliche Intelligenz. Es gibt bereits Ethikrichtlinien der EU für KI, aber ChatGPT hat die Entwicklung massiv beschleunigt und wird auch die Umsetzung von Richtlinien beschleunigen.
Bis zur DSGVO haben sich Big Tech-Unternehmen mit Datenhandel aller Art Jahrzehnte lang eine goldene Nase verdient. Werden wir bei KI ähnlich lange auf ein Regulativ warten müssen? Können wir aufgrund der Möglichkeiten, die KI eröffnet, überhaupt so lang warten?
Krause: Jemand, der Hoffnung hat, wird sich dafür einsetzen und mithelfen, die Dinge in die richtige Richtung zu bringen. So sehe ich das auch. Ich denke, dass es viele Risiken gibt, und wir gut daran tun, mit Druck an Regeln zu arbeiten. Wir sind an einem Scheideweg. Sehen wir uns an, wie sich die Digitalisierung in den USA und in China entwickelt hat. Da gibt es zwei völlig unterschiedliche politische Systeme, die sich auf die Entwicklung unterschiedlich ausgewirkt haben. In den USA ist das ein firmenzentriertes, marktkapitalistisches System, auf der anderen Seite steht ein sehr autokratisches, totalitäres System, in dem die Macht beim Staat liegt. Wer die Daten hat, der hat letztendlich auch die Macht über die Bürger. Wenn ich Macht über Daten und Informationen habe, habe ich Steuerungsmöglichkeiten auf Menschen. Das ist ein krasser Widerspruch zu jedem humanistischen Grundsatz.
Beide Systeme sind Realität und wurden nicht in ihre Schranken gewiesen …
Krause: Einer der zentralen Punkte im Humanismusansatz in der Digitalen Dekade der EU ist, dass wir in Europa versuchen, einen Gegenentwurf zu entwickeln, nämlich einen Menschen- und Bürger- zentrierten Ansatz. Das ist der springende Punkt. Wir glauben daran und wollen weiterhin in Freiheit und Demokratie leben, wir wollen selbstbestimmt leben und über unsere eigenen Daten die Verantwortung haben. Wenn ich meine Daten hergebe, ist das meine Entscheidung und nicht die eines Dritten. Das ist ein klares Ziel der EU. Da habe ich schon die Hoffnung, dass es uns gelingen wird, einen europäischen Weg zu finden. Wenn uns das nicht gelingt, haben wir verloren.
Geht ein gelebter Digitaler Humanismus nicht durch die nötigen Selbstbeschränkungen mit Wettbewerbsnachteilen einher?
Krause: Im Gegenteil. Es ist unsere einzige Chance, dass wir den Menschen in den Mittelpunkt der Digitalisierung stellen und dadurch ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell entwickeln. Kurzfristig haben wir verloren. Wir stehen bei der Marktkapitalisierung der größten Unternehmen im Nirgendwo und wurden längst von Asien und den USA abgehängt. Selbst bei Startups und Unicorns hat China doppelt so viele wie Europa. Unsere einzige Chance ist, dass wir einen Gegenentwurf einbringen. Der ist nicht so schnell wie ein kapitalistischer Ansatz in den USA, aber dafür ist er hoffentlich nachhaltiger. Die sehr stark kritisierte DSGVO wird in einigen Bundesstaaten der USA bereits kopiert. Man hat erkannt, dass nach einer ersten Pionierphase des Wilden Westens auch Regeln nötig sind. Wenn die Entwicklung in diese Richtung weitergeht, haben wir Europäer wieder eine Chance, eine Rolle zu spielen.
Werden die Menschen einen Teil ihres Wohlstands für humanistischen Regeln opfern?
Krause: Ich glaube nicht, dass Digitaler Humanismus Einbußen an Wohlstand mit sich bringt. Europa ist noch immer der größte Wirtschaftsraum der Welt, und solange wir unsere Regulierungen bei Unternehmen, die mit uns Geschäfte machen wollen, durchsetzen können, gibt es keinen Wohlstandsverlust. Wir können verlangen, dass sich andere an die Spielregeln halten, und das kommt unseren Bürgern zugute.