Die aspern Seestadt floriert als Wohn- und Wirtschaftsstandort gleichermaßen – das unterstrich eine Evaluierung der bisherigen Entwicklung.
Die aspern Seestadt, der neue Stadtteil im Nordosten Wiens, ist bisher zu etwas mehr als einem Drittel entwickelt. Für den weiteren Ausbau – sowohl von Wohn- als auch Gewerbeflächen – wurde ein neues Zielsystem erarbeitet. Robert Grüneis ist seit 2023 Vorstand der Wien 3420 aspern Development AG, der Entwicklungsgesellschaft, die für die Realisierung von aspern Seestadt verantwortlich ist. Der Experte für Energie und Smart Cities ist für die Bereiche Produktentwicklung, Liegenschaftsverwaltung und Beteiligungen verantwortlich und gibt einen tiefen Einblick in den aktuellen Entwicklungsstand der Seestadt und Ausblicke auf Zukünftiges.
Was war die Motivation, den umfassenden Performance-Report EVA zu aspern Seestadt erstellen zu lassen?
Robert Grüneis: aspern Seestadt ist eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas und wird das neue regionale Zentrum der Donaustadt, dem bevölkerungsreichsten Bezirk Wiens. Je nach Blickwinkel begann die Entwicklung der Seestadt vor fast 20 Jahren mit der Masterplanung. Oder 2010, mit dem Spatenstich für den Seeaushub. Ende 2012 stand mit dem tz1 des Technologiezentrums Seestadt das erste Gebäude überhaupt, im Herbst 2014 zogen die allerersten Pioniere in ihre Wohnungen. Seither haben wir drei große Quartiere gebaut, zwei weitere sind gerade in Vorbereitung. Bis in die 2030er-Jahre wird die Seestadt noch wachsen – um mehr als die Hälfte. Unser Anspruch als Entwickler ist, von Quartier zu Quartier besser zu werden. Dazu brauchen wir Daten, um zu lernen, und das Sparring mit der Fachwelt. Essenziell ist das Feedback derjenigen, die in der Seestadt leben, arbeiten, zur Schule gehen oder ein Unternehmen gegründet haben. Daher beschlossen wir im Jahr 2022 zu evaluieren, wo die Seestadt heute steht, wie unsere Entwicklungsziele und Strategien zu den heutigen Rahmenbedingungen passen, wo wir nach Einschätzung unserer Stakeholder und von Experten noch Nachholbedarf oder Potenzial haben. Da es uns aber vor allem um die zukünftige Steuerung ging, wurde im Anschluss ein neuer Zielekatalog entwickelt. Um zu messen, ob wir unsere Ziele erreichen, wurde ein Set an Key Performance Indicators – KPIs – erarbeitet. Dazu wollen wir in Zukunft regelmäßig reporten.
Was sind die wichtigsten Themen, mit denen Sie sich im EVA-Report auseinandersetzen?
Grüneis: Wir haben ein Team der Urban Innovation Vienna beauftragt, uns in diesem Prozess zu begleiten. Gemeinsam wurden acht Handlungsfelder definiert – von der Entwicklung der Stadtstruktur und des öffentlichen Raums, über die Lebensqualität und Mobilität bis zum Wirtschafts- und Innovationsstandort.
Im EVA-Report haben Sie einen ‚Deep Dive‘ unternommen, der auf Basis von Interviews geführt wurde. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Grüneis: Im Deep Dive gab es einen intensiven Austausch in Form von Einzelgesprächen und Fokusgruppen mit insgesamt 116 Personen. Dabei wurde der Seestadt attestiert, dass sie sowohl als Wohnort als auch als Wirtschaftsstandort schon sehr viel Kraft entwickelt hat und in puncto Nachhaltigkeit ihrer Rolle als Vorreiterin in Summe gerecht geworden ist. Hervorgehoben wurden etwa der hohe Freiraum-Anteil und der Mix unterschiedlichster urbaner Funktionen. Die stapeln wir möglichst übereinander, das schafft kurze Wege und viel Platz für Grün. Gelobt wurde auch der vorbildliche Modal Split, heute werden bereits 78 Prozent der Wege im Umweltverbund zurückgelegt. Das verdanken wir nicht nur den hervorragenden ÖV-Verbindungen, sondern unserem Mobilitätskonzept, das in vielen Fällen attraktive Alternativen zum motorisierten Individualverkehr anbietet. Das trägt auch zum extrem geringen Bodenverbrauch bei. Das wurde sehr positiv bewertet, wie generell unsere Klimaschutzstrategien – von den CO2-Einsparungen durch smarte Baulogistik und Recycling von Materialien bis zur konsequenten Durchsetzung von Nachhaltigkeitsstandards bei den Seestädter Immobilien oder der Schwammstadt.
Wo gibt es – orientiert am EVA-Report – noch Herausforderungen?
Grüneis: Stadtentwicklung ist ein sehr langfristiger Prozess – die Rahmenbedingungen ändern sich unterwegs laufend. Deshalb werden wir auch unsere KPIs immer wieder neu bewerten, denn wer kann wirklich sagen, wie die Welt in zehn Jahren aussehen wird? Was wir wissen, ist, dass sich das Klima rapide ändert. Wir arbeiten deshalb sehr eng mit Forschern zusammen, um Lösungen zur Klimawandelanpassung zu entwickeln. Mit der ASCR, der Aspern Smart City Research, sind wir als Wien 3420 sogar an einem international renommierten Energieforschungsprojekt beteiligt. Und natürlich verändert sich auch die Wirtschaft. Wir müssen uns fragen, welche Immobilien und Infrastruktur Unternehmen in Zukunft brauchen. Zurzeit beschäftigen wir uns zum Beispiel sehr mit City-Logistik und betrieblichem Mobilitätsmanagement.
Wie sorgen Sie für einen ‚gesunden‘ Branchenmix am Wirtschaftsstandort aspern Seestadt?
Grüneis: Die Breite an Unternehmen, die heute in der Seestadt angesiedelt sind, wurde im Deep Dive hervorgehoben. Das reicht von etlichen Ärzten, Therapeuten und Kreativen, über Lebensmittelproduzenten wie für den Eissalon am Schwedenplatz oder der Kasnudl Stadtküche, jungen Start-ups bis hin zum großen internationalen Technologie-Player Hoerbiger oder dem global erfolgreichen Biotech-Unternehmen Takeda, das in der Seestadt sein Labor der Zukunft baut. Das kam natürlich alles nicht von alleine, sondern weil von Anfang an unterschiedlichste Strategien kombiniert wurden. Dass 2012 die Wirtschaftsagentur Wien mit dem Technologiezentrum Seestadt ein Plus-Energie-Haus für technologieaffine Unternehmen und Forschungseinrichtungen als erstes Haus überhaupt baute, war eine echte Ansage. Seither wird konsequent am Innovations-Ökosystem gearbeitet. Das Netzwerken wird sehr forciert. So haben wir nicht nur im Team des Stadtteilmanagements eine eigene Ansprechpartnerin für die Wirtschaftstreibenden installiert, sondern arbeiten auch eng mit einem lokalen Unternehmer-Netzwerk zusammen. Hinzu kommt, dass wir uns als Entwicklungsgesellschaft um die Infrastruktur kümmern. Die ‚gemanagte Einkaufsstraße‘, mit der wir von Anfang an für die mit dem Stadtteil mitwachsende Nahversorgung und Gastronomie gesorgt haben, wird nicht nur von den Bewohnern geschätzt, sondern natürlich auch von den Beschäftigten in den Betrieben und den Menschen aus der Umgebung. Um dieses Erfolgskonzept zu realisieren, gründeten wir schon 2014 ein Joint Venture mit Spar European Shopping Centers. Die gemanagte Einkaufsstraße ist eine der Ideen, mit der wir auch international als Vorbild gelten.
aspern Seestadt gilt als Vorzeigemodell für eine Smart City, vor allem, was Energieeffizienz betrifft. Wie sehen hier zukünftige Vorhaben in Sachen Nachhaltigkeit aus?
Grüneis: Im Moment arbeiten wir gemeinsam mit mehreren Bauträgern an einer baufeldübergreifenden Energiequartierslösung für das Quartier ‚Seecarré‘. Da sind wir auf einem sehr guten Weg und ich bin zuversichtlich, dass uns ein wirklich bahnbrechendes Projekt gelingen wird.
Was zeichnet den Gewerbehof der Wirtschaftsagentur Wien in aspern Seestadt aus?
Grüneis: Der Gewerbehof teilt sich ein Baufeld und einen wunderschönen parkähnlichen Innenhof mit mehreren Wohngebäuden mitten im Wohngebiet. Trotzdem bietet er einen unterirdischen Ladehof, in dem sogar Sattelschlepper Platz haben, während am Spielplatz darüber Kinder völlig ungestört spielen. Das Gebäude ist äußerst robust, man kann auf allen Ebenen produzieren und findet ideale Lagerräume vor. Trotzdem ist seine Architektur so ansprechend, dass immer wieder angefragt wird, ob man im Gewerbehof auch Wohnungen mieten oder kaufen kann.
Auf welche neuen Projekte dürfen sich die Seestädter freuen?
Grüneis: Wir bauen gerade an der neuen Promenade der Waterfront am Nordufer des Sees. Das wird eine Flaniermeile mit viel Grün und attraktiven kleinen Plätzen zum Chillen oder Spielen. Die Gebäude dahinter werden spektakulär – mit Arkaden zum See, Lokalen mit Gastgärten und Shops im Erdgeschoß, darüber Wirtschaft und Wohnungen in bester Lage.
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