Der Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds
unterstützt Jahr für Jahr zahlreiche Projekte in vielen Disziplinen.
Mehr als 550 Projekte unterstützte der WWTF mit 265 Millionen Euro in den vergangenen 20 Jahren. Michael Stampfer unterstreicht, wie wichtig es ist, Spitzenforscher aus den unterschiedlichsten Fachgebieten nach Wien zu bringen und heimische Wissenschaftler in der Stadt zu halten.
Die Aufgabe des WWTF ist es, ‚herausragende Forschungsarbeiten über kompetitive Forschungsförderung zu unterstützen‘. Was darf man unter der sperrigen Formulierung verstehen?
Michael Stampfer: Es gibt grundsätzlich zwei Arten, um Forschung zu finanzieren. Entweder man gibt einer Forschungsgruppe oder einer Institution ein Grundbudget in der berechtigten Erwartung dass dabei etwas G’scheites herauskommt, denn das sind intelligente und ehrgeizige Menschen. Ein System, das zu wenig Grundbudget hat, ist schlecht und falsch aufgestellt. Daneben gilt es, sowohl aus thematischen Gründen als auch, um den Wettbewerb anzuspornen, besonders gute Forscher und Ideen mit projektorientiertem Geld zu versorgen. Das ist die sogenannte kompetitive Förderung. Dazu veranstalten wir Wettbewerbe. Dabei gibt es eine externe Instanz, das sind internationale Jurys und Gutachter, die sich eingereichte Projekte vergleichend ansehen.
Schließt das rein akademische Projekte, die keinen Praxisnutzen haben, aus?
Stampfer: Nein, denn kompetitiv heißt nur, dass die Forscher gegeneinander antreten müssen; das bedeutet aber keine Wettbewerbsfähigkeit im Sinn von Produktentwicklung oder Ähnlichem. Wo wir auf eine Art Nützlichkeit achten, ist die Themenauswahl. In relevanten Bereichen, wie etwa den Biowissenschaften und Life-Science, finanzieren wir freilich auch sehr grundlegende Projekte. Da geht es etwa um Populationsgenetik oder weshalb der Goffinkakadu als einziges Nicht-Säugetier ganze Werkzeugsets bei der Futtersuche verwenden kann. Das wird den Wirtschaftsstandort Wien morgen nicht vorantreiben, aber das sind tolle Projekte.
Ein Förderkriterium ist das Herausragende an eingereichten Projekten.
Stampfer: Was herausragend ist, ergibt sich im Rahmen solcher Wettbewerbe, wobei man zwei Punkte im Auge behalten muss. Wir würden erstens unser Geschäft ganz falsch betreiben, wenn wir nur die sichere Bank finanzieren. Zweitens, im Zweifel wollen wir jene Wissenschaftler fördern, die noch vor ihrem Durchbruch stehen. Etablierte Top-Forscher erhalten von uns natürlich ebenfalls Geld, sie sind nicht ausgeschlossen.
Arrivierte Forscher, etwa im Feld der KI, beklagen, dass es in Österreich zu wenige Fördermittel gibt …
Stampfer: Ja, hier fehlt etwas, vor allem für die Finanzierung der nächsten Generationen – erfahrene Forscher brauchen auch junge Doktoranden, die sich dann zu Wissenschaftlern entwickeln. Uns geht es sehr stark darum, dass hochtalentierte Menschen sehr früh eine Unabhängigkeit erreichen und nicht jahrelang in unsicheren Verhältnissen für jemanden arbeiten, sondern möglichst früh gute Ideen selbstständig umsetzen können. Das ist ebenfalls eine unserer Missionen, diese Menschen zu erkennen, oder, wenn sie noch nicht in Wien sind, sie in die Stadt zu holen und sie finanziell zu unterstützen.
Ist das vom Goffinkakadu bis zur KI nicht ein sehr breites Feld, in dem der WWTF Projekte fördert?
Stampfer: Wir denken viel und lange nach, in welchen Gebieten wir uns engagieren, wobei Life-Science unser größtes Fachgebiet ist. Hier widmen wir uns etwa auch klinisch-translationalen Forschungsprojekten, die auch ergebnisorientierter sind. Unser heuriger Call zum Thema Synthetische Biologie ist wiederum noch sehr weit von Anwendungen entfernt. Unser Tätigkeitsfeld umfasst vor allem drei Themen: Wir wollen Wien als Standort für Computerwissenschaften stärken, dazu beitragen, dass Wien weiterhin ein starker Life-Science-Standort bleibt und dabei mit Forschung unterstützen, dass Städte im Umwelt- und Klimabereich einerseits weniger emittieren und fitter werden, andererseits die Bewohner und die Umwelt weniger unter dem Klimawandel leiden.
Besonders im Bereich der IT monieren Unternehmen, dass es zu wenige Fachkräfte gibt. Gibt es hier eine Konkurrenz zwischen dem WWTF und dem privaten Sektor, wenn es um das Gewinnen der besten Köpfe geht?
Stampfer: Es gibt insgesamt eine ziemliche Fachkräftelücke in der Informatik, und wenn wir hier Leute als Forschende und Lehrende herholen, dann stärken und vergrößern wir die lokalen Ausbildungskapazitäten. Stars vor Ort ziehen weitere Talente von überall her an, und auch technologieintensive Unternehmen gehen gern dort hin, wo hohe Kompetenz besteht. Wir selbst arbeiten eng mit der Industriellenvereinigung und einzelnen Unternehmen zusammen und zeigen damit, dass wir heute Dinge erforschen, die morgen für die Industrie interessant sind. Was die Anzahl der Talente betrifft, kann es zwischen den Unis und den Unternehmen eng werden: Wenn hier im Bereich Machine Learning nur eine Handvoll Menschen im Top-Segment ihr Doktorat abschließt, sind sie überall gefragt und können entweder eine tolle Karriere in der Wissenschaft oder in der Industrie machen. Der Wettbewerb um Talente ist auf internationaler Ebene natürlich noch brutaler. Es gibt ein Potenzial von Zigtausend guten und Tausenden exzellenten Doktoranden und PostDocs in jeder Spezialisierung. Von denen möchten wir einen kleinen, aber signifikanten Teil hier haben. Dass Wien eine schöne Stadt ist, reicht dabei nicht aus. Es braucht attraktive finanzielle Angebote, aber es muss auch genügend Geld für die Forschung selbst vorhanden sein. Zudem hat der Stadt früher lange die Strahlkraft gefehlt, da zum einen die Qualität im internationalen Vergleich niedriger und die Forschung auf Unis auf zu viele Themen verstreut war. Es hat also wenig Grund für Wissenschaftler gegeben, gerade nach Wien zu kommen. Das ist in einigen Bereichen deutlich besser geworden, auch in den Computerwissenschaften. Im Bereich Life-Science etwa gibt es viele Themen und Institutionen, die durch ihre Zusammenarbeit untereinander eine Strahlkraft haben, die zumindest europaweit und manchmal weltweit wirkt. Die Computerwissenschaften waren hingegen historisch viele Jahre noch mehr unterfinanziert, als das gesamte Forschungssystem. Es war verabsäumt worden, das Star-Prinzip einzuführen, dass man eine große Anzahl an Jungstars großzügig einkauft und sie in sichtbaren Forschungszentren und Uni-Einrichtungen arbeiten lässt. Damit wird ein Sog erzeugt, der bei den Life-Sciences bereits gut funktioniert. Das ist derzeit immer noch ein Drama, denn die Digitalisierung, KI und Machine Learning verändern alle Wissenschaftsgebiete. Wir müssen in diesem Bereich mehr Strahlkraft entwickeln und machen dabei gute Fortschritte.
Ist bei den digitalen Themen der Zug für Wien bereits abgefahren?
Stampfer: Dort, wo es um die Integration von Machine Learning in industrielle Wertschöpfungsprozesse geht, ist der Zug nicht abgefahren. Der Zug für Generative KI ist aus dem Bahnhof draußen, da einige amerikanische und asiatische Akteure alles aufgekauft haben. Mich beschäftigt mehr die Frage, wohin im Nebel die Gleise führen und weiters, dass bis zu 80 Prozent der amerikanischen Universitätsabgänger im Feld Machine Learning in die Industrie gehen und nicht für die öffentliche Forschung zur Verfügung stehen. Die Industrie macht heute wieder Grundlagenforschung, nur werden die Ergebnisse nicht veröffentlicht. Hier gibt es viel dunkles Wissen.
Wie sehr hat sich in den vergangenen Jahren die Gewichtung in Richtung Digitalisierung verschoben, oder pflegen Sie bewusst auch analoge Gebiete?
Stampfer: Es gibt einen Push und einen Pull. Der Pull ist, dass wir immer mehr Projekte im Life-Science-, Kognitions- oder Umweltforschungsbereich erhalten, die mit Modellierung, Machine Learning, Fernerkundung, etc., also digitalen Sensorsystemen und Methoden, arbeiten. Selbst wenn wir nicht selbst aktiv wären, würde das ständig zunehmen, da wir mehr interdisziplinäre Forschung finanzieren. Der Push-Effekt ist gegeben, da wir mit der Hälfte unseres Budgets bewusst digitale Projekte finanzieren. Das kann ein Call wie ‚KI und ML in der Medizin‘ sein, der im Life-Science-Schwerpunkt angesiedelt ist, und dass wir so viele junge Spezialisten wie möglich nach Wien holen oder in Wien halten wollen.
Weshalb ist Ihnen der Digitale Humanismus ein großes Anliegen?
Stampfer: Zum einen sind das die Gefahren, zum anderen die Schönheit unserer zivilisatorischen Institutionen. Es gibt den Rechtsstaat und unabhängige Gerichte, die Gewaltenteilung, eine Regierung, die aktive Politik machen kann, es können Steuern auf Wertschöpfung eingehoben werden, es gibt Redefreiheit, ohne dass uns gleich ein Mikrofon belauscht. All diese Dinge sind durch die Mischung von Plattformökonomie/Internet mit Machine Learning und durch Gier- und Machtstreben stärker bedroht als wir glauben. Ich möchte keinen transhumanistischen Fortschritt damit verkaufen, dass ich bei Rechtsstreitigkeiten nicht mehr zu unabhängigen Gerichten gehen kann, weil sie mittlerweile automatisiert sind und den Firmen gehören. Ich möchte bei allen Unzulänglichkeiten unserer demokratischen Prozesse auch in zehn Jahren noch unmanipuliert wählen können. Für mich ist Digitaler Humanismus, dass die Informatiker auf ihrem Weg, möglichst schnell zum Ziel zu kommen und elegante, digitale Lösungen zu bauen, auch über mögliche Konsequenzen ihres Tuns schon von Beginn weg nachdenken.