Österreich ist das Land der „Hidden Champions“

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Georg Jungwirth ist Professor an der Fachhochschule Campus 02
in Graz und kennt die Erfolgsunternehmen ganz genau.

Seit Jahren beschäftigt sich Georg Jungwirth mit dem Phänomen der „Hidden Champions“, von denen es in Österreicherstaunlich viele gibt. In seinen diversen Studien zu den Erfolgsunternehmen fand er auch heraus, weshalb die wirtschaftlichen Überflieger lieber im Verborgenen – also „hidden“ – bleiben und in der Öffentlichkeit kaum bekannt sind. In Österreich gilt ein Unternehmen als Hidden Champion, wenn es einen Jahresumsatz von maximal 300 Millionen Euro pro Jahr erwirtschaftet, wobei es sich meist um mittelständische Betriebe handelt. Derzeit gibt es rund 250 Welt- oder Europa-Marktführer in Österreich.

Ist Erfolg in Österreich noch immer nicht gesellschaftsfähig? Viele Unternehmen gehen nur ungern an die Öffentlichkeit, wenn sie außerordentlich erfolgreich sind …
Georg Jungwirth: Viele der kleinen und mittelständischen Europa- und Weltmarktführer, die ‚Hidden Champions‘, hängen ihren Erfolg nicht an die große Glocke. Ich beschäftige mich seit dem Jahr 2007 mit dem Thema, als wir begonnen haben, unsere Hidden Champions-Datenbank aufzubauen und eine Studie nach der anderen durchzuführen. Ich habe das anfangs nicht verstanden, dass jemand mit einer führenden Position am Weltmarkt diesen Umstand nicht besser vermarktet. Einer der Gründe dafür ist, dass viele der mittelständischen und kleineren Hidden Champions familiengeführte Unternehmen sind, die über eigene Regeln verfügen. Eine der typischen Regeln ist, dass diese Unternehmer relativ dezent agieren und nicht hinausschreien, welchen Erfolg und wie viel Geld sie haben. Das geschieht zum Teil zum Schutz der eigenen Familie und der Privatsphäre. Viele der Unternehmer bleiben bescheiden.

Man spricht aber auch über Misserfolge nicht öffentlich. Ist das nicht auch eine Sache der Mentalität?
Jungwirth: Dass Bescheidenheit eine Zier ist, gilt in vielen Familienunternehmen in Österreich noch immer. Ein weiterer Grund fürdie Zurückhaltung ist sowohl bei den mittelständischen Hidden Champions, als auch bei den großen österreichischen Weltmarktführern, die meist auf Industriegütermärkten tätig sind, dass es ein B2B-Geschäft ist und der Endkonsument damit kaum in Berührung kommt. Unternehmer haben mir auch erzählt, dass es bei der Übernahme von anderen Betrieben ganz andere, strengere Auflagen der Wettbewerbs- und Kartellbehörden gibt, wenn bekannt ist, dass sie ein Weltmarktführer sind. Für die Größe des Landes gibt es in Österreich extrem viele Welt- und Europa-Marktführer. Deren ‚Kriegskassen‘ sind meist gut gefüllt und es werden öfters andere oder schwächelnde Unternehmen übernommen. Also ist es ein Vorteil für Hidden Champions, dass sie Behörden nicht auf ihrem Radar haben.

Über Geld spricht man – im Gegensatz zu den USA – in Österreich einfach nicht gerne.
Jungwirth: Ich habe eine Zeit lang in den USA, im Silicon Valley, gearbeitet und kenne den Mentalitätsunterschied. Amerikaner haben aber auch einen völlig anderen Zugang und ein anderes Verhältnis zu den Kapitalmärkten. Diese Unternehmen wollen meist an die Börse gehen. Wenn ein kleineres Start-up nach einigen Jahren noch immer an keiner Börse gelistet ist, dann muss es sich dafür fast rechtfertigen. In Österreich ist es genau umgekehrt: Die Hidden Champions wollen meist gar nicht an die Börse und holen sich auch keinen externen Investor ins Unternehmen.

Vermehrt sich die Anzahl der Hidden Champions in Österreich
oder ist die Zahl angesichts der Krisen eher rückläufig?

Jungwirth: Wir verstehen als Hidden Champion einen mittelständischen Betrieb, der international so erfolgreich ist, dass er entweder in Europa die Nummer eins ist oder unter den Top drei der Branche weltweit rangiert. Diese Definition ist international gängig und wir haben sie ebenfalls eingeführt. Allerdings haben wir die Größenordnung, bis zu welchem Jahresumsatz ein Betrieb ein Hidden Champion ist, nicht von den deutschen Kollegen übernommen. Dort gilt eine Firma bis zu einem Umsatz von drei Milliarden Euro als Mittelständler. In Österreich wäre das bereits ein Konzern. Deshalb haben wir eine andere Obergrenze gefunden. Ein Unternehmen, das maximal 300 Millionen Euro Jahresumsatz erwirtschaftet, gilt in Österreich als Hidden Champion. Es ist noch mittelständisch, verfügt über überschaubare Strukturen und eine flache Hierarchie, der Chef kennt noch alle Mitarbeiter und es ist zumeist familiengeführt.

Jedes Jahr wachsen einige der österreichischen Hidden Champions über diese Grenze hinaus, und wir führen sie in unserer Datenbank dann als große, österreichische Weltmarktführer, wie Red Bull, Swarovski oder Wienerberger. Allerdings kommen jedes Jahr einige neue Unternehmen nach. Hier gibt es einige sehr interessante Start-ups, die von Beginn an die Strategie verfolgen, sehr international zu agieren und ‚Born Global Companies‘ sind. Zwei Drittel aller späteren Hidden Champions waren nach ihrem Start sofort international tätig. Viele Start-ups verfolgen sehr innovative Ideen, für die der österreichische Markt zu klein ist. Diese Unternehmen haben auch erkannt, dass einer der Erfolgsfaktoren der F&E-Aufwand ist und investieren deshalb sehr viel Geld in Forschung und Entwicklung. Da sind die Chancen groß, später auch einmal Hidden Champion zu werden. Neben einer hohen Produktqualität, einer frühen Internationalisierung und Innovation ist auch das gute Betriebsklima, bei dem sich die Mitarbeiter wohlfühlen und über Jahre dem Unternehmen treu bleiben, ein Erfolgsfaktor. Dort gibt es auch kein Hire and Fire wie bei vielen börsennotierten Unternehmen.

Also vermehren sich die Hidden Champions trotz der multiplen
Krisen der vergangenen Jahre, wie der Pandemie, Lieferketten-
schwierigkeiten, Energiekrise und dem Ukrainekrieg?

Jungwirth: Sie werden nicht weniger. Es fallen einige weg, weil sie zu groß geworden sind und die Umsatzobergrenze überschritten haben, aber es kommen jedes Jahr neue nach. Diese sind zum Teil in Supernischen tätig oder in Bereichen, in denen es deutlich weniger Konkurrenz als auf den Massenmärkten gibt. Gerade familiengeführte Unternehmen verfolgen langfristige Strategien. Ein solcher Unternehmer erklärte mir einmal, dass er nicht in Quartalen denkt, sondern in Generationen. Wenn man solche langfristigen Ziele verfolgt, dann zieht die gesamte Belegschaft an einem Strang, denn die Mitarbeiter wissen, wohin die Reise geht. Das ist ebenfalls ein Unterschied zu börsennotierten Firmen, in denen der Vorstand und die Unternehmensziele alle paar Jahre wechseln. Eine langfristige Ausrichtung hat meiner Meinung nach mehr Chancen auf Erfolg als wechselnde Strategien. Alles in allem werden die Hidden Champions immer mehr. Derzeit gibt es rund 200 mittelständische Welt- und Europa-Marktführer in Österreich. Das ist eine gewaltige Anzahl. Hinzu kommen nochmals etwa 50 große Weltmarktführer. Österreich verfügt also über eine Menge an großartigen Unternehmen, die international sehr erfolgreich sind und auf die wir stolz sein können.