Modernste Biotechnologie aus der Seestadt Aspern

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Programmierte Bakterien und Genscheren schaffen die Grundlagen für Covid-Impfstoffe und personalisierte Krebs-Therapien.

Begonnen hat die Geschichte der Biomay AG bereits in den 1980er-Jahren, als man sich hauptsächlich mit Allergenen und Allergietherapien beschäftigte. Seit 2019 konzentriert das Unternehmen sich ausschließlich auf die Auftragsproduktion von Biopharmazeutika als CDMO-Unternehmen (Contract Development and Manufacturing Organisation). Mit den Schwerpunkten Plasmid-DNA, Messenger RNA (mRNA) und rekombinanten Proteinen steht das Unternehmen mit Sitz in der Seestadt Aspern in Wien an der Speerspitze der neuesten Entwicklungen im Biotech-Sektor. Personalisierte Krebstherapeutika werden bei Biomay genauso hergestellt, wie ein Ausgangsmaterial für das mRNA-Vakzin von Biontech/Pfizer gegen Covid-19. Biomay-CEO Hans Huber gewährt einen Blick hinter die Kulissen hochmoderner Biotechnologie und deren Zukunft.

Erklären Sie uns bitte kurz Ihr Geschäftsmodell?
Hans Huber: Die Biomay AG ist ein biopharmazeutischer Betrieb. Wir beschäftigen uns mit Biotechnologie im Rahmen der Pharmaindustrie. Wir sind aber nicht in der forschenden, sondern in der produzierenden Industrie tätig. Eine forschende Pharmafirma ist nicht automatisch ein Unternehmen, das seine selbst entwickelten Produkte auch gut selbst produzieren kann. Das ist unsere Aufgabe. Wir sind ein Auftragshersteller zur Produktion von Biopharmazeutika – wie rekombinante Proteine, Messenger RNA und Plasmid- DNA – mit biotechnologischen Methoden. Unsere Mikroorganismen, meist Bakterien, sind dabei die Zellfabriken. Wir verwenden die Synthese- und die Produktionskapazität von Bakterien, wobei das Arbeitstier Escherichia coli (E. coli) ist. Diese E. coli-Zellen produzieren für uns rekombinante Proteine (also Eiweißstoffe), DNA und Ähnliches.

Pharmafirmen kommen mit ihren Entwicklungen zu Ihnen?
Huber: Pharmafirmen, Biotech-Unternehmen und auch Start-ups treten meist mit einer genauen Definition ihres Produkts an uns heran, aber sie haben meist nur eine ungefähre Vorstellung, wie man es herstellt. Dieses Produktions-Know-how haben wir, und wir nutzen es gemeinsam mit unserer Erfahrung zur Herstellung von Produkten für andere Biotech-Unternehmen.

Ihre Firmengeschichte begann bereits in den 1980er-Jahren …
Huber: Die Firma wurde eigentlich bereits 1984 gegründet, und damit ist Biomay eines der ältesten genuinen Biotech-Unternehmen Österreichs. Der Gründungsfokus lag auf dem Thema Allergien und der Herstellung von Allergenen mit biotechnologischen Methoden. Dabei produzieren molekularbiologisch und gentechnisch veränderte Bakterien ein sogenanntes rekombinantes Allergen, wie das Birkenpollen-Allergen, zu Forschungszwecken. Das war lange vor meiner Zeit. Wir verkaufen Allergene noch heute, aber das ist eine Nischensparte geworden. In der Zwischenzeit war Biomay in der Produktentwicklung von Impfstoffen gegen allergische Erkrankungen tätig. Diese Geschäftssparte betreiben wir seit dem Jahr 2009. Damals stellten wir in einer eigenen Anlage unsere eigenen Produkte für die klinische Prüfung her. In der Folge entstand die Geschäftsidee, unsere Produktionsanlagen auch für andere Unternehmen zu nutzen. Dadurch wurde Biomay Mitte der 2010er-Jahre profitabel. Danach haben wir uns entschieden, den Allergie-Produktbereich zu verkaufen und ein reiner Auftragshersteller zu sein. Nach einem Parallelbetrieb sind wir seit 2019 ein reines CDMO-Unternehmen, eine Contract Development and Manufacturing Organisation.

Biomay beschäftigt sich mit drei Produktgruppen. Wobei handelt es sich bei den rekombinanten Proteinen?
Huber: Proteine, früher sagte man auch ‚Eiweißstoffe‘, sind die Moleküle des Lebens und oft in den Verlauf von Krankheiten involviert. Deshalb sind bestimmte Proteine im Allgemeinen für Therapien wichtig. Die Biomay stellt solche Proteine rekombinant her. Dazu ein Beispiel: Man kennt das Insulin von der Therapie von Diabetes. Diabetikern fehlt dieses Insulin-Protein, ihre Körperzellen können es nicht selbst herstellen. Dem Diabetiker muss Insulin injiziert werden. Früher wurde dieses therapeutische Insulin aus den Bauchspeicheldrüsen von Schweinen extrahiert. Ende der 1970er-Jahre entwickelte man ein Verfahren, um Insulin künstlich mittels klonierten Mikroorganismen (rekombinant) herzustellen. Dabei werden Bakterien- oder Hefezellen so umprogrammiert, dass sie in ihrem Zellinneren Insulin produzieren. Seit damals nutzt man also Produktionsverfahren, bei denen Escherichia coli-Bakterien oder Saccharomyces cerevisiae Hefepilze verwendet werden, um Insulin biotechnologisch herzustellen, damit es als Medikament eingesetzt werden kann. Wir nutzen dieses Verfahrensprinzip nicht für Insulin, sondern für neuartige Protein-Produkte. Wir programmieren Bakterienzellen so um, dass sie ein bestimmtes Protein produzieren, kultivieren sie in einem Bioreaktor, um sie zu vermehren. Danach werden die Zellen meist mechanisch aufgebrochen, und das Protein wird aus dem Zellinneren gewonnen. Dieser Wirkstoff ist unser Produkt, das wir an Pharmafirmen liefern und den sie in ein Endgebinde abfüllen.

Ein weiteres Geschäftsfeld ist Plasmid-DNA.
Huber: In den vergangenen Jahrzehnten kam das neuartige Gebiet der Gentherapie auf. Wir produzieren DNA in Form von ringförmigen Plasmiden. Dieser Plasmidring findet sich auch in dem Biomay-Logo wieder. Die Plasmide werden in Bakterien vermehrt. Die entstandene DNA ist vielfältig verwendbar. Sie ist direkt als Wirkstoff einsetzbar, denn von der DNA leiten sich schlussendlich die Proteine ab. Wird ein Plasmid einem Patienten verabreicht, produziert er nach dem Zwischenschritt über die mRNA das Protein selbst. Man könnte also einen Diabetiker mit einem entsprechenden Plasmid behandeln und er bildet mithilfe seiner eigenen Körperzellen das Insulin. So funktioniert das Grundprinzip der Gentherapie und der DNAVakzinierung, bei der dem Patienten nicht das therapeutische Protein selbst verabreicht wird, sondern die genetische Information zur Bildung dieses Proteins. Die Plasmid-DNA kann aber auch als Startmaterial für einen Impfstoff verwendet werden. Das Prinzip ist seit der Coronapandemie landläufig bekannt.

Die Plasmid-DNA hängt mit Ihrer dritten Produktgruppe, der Messenger RNA, zusammen?
Huber: Die mRNA ist die dritte wichtige Molekülklasse, die wir produzieren. Die fundamentale biologische Information in allen Zellen ist die DNA, der genetische Code. Die DNA wird in die mRNA, die Messenger RNA oder Boten-RNA, umgeschrieben (transkribiert). Die Boten-RNA wird anschließend in das Protein übersetzt (translatiert). Das ist das fundamentale, biologische Prinzip des Flusses der genetischen Information: von der DNA, über die mRNA zum Protein. Plasmid-DNA wird auch zur biotechnologischen Herstellung von mRNA verwendet. Dabei wird ein Stück DNA, das DNA-Template, im Bioreaktor in-vitro umgeschrieben. Das Verfahren nennt man in In-vitro-Transkription von RNA. Wir produzieren also Plasmid-DNA, präparieren sie so, dass sie sich als Startmaterial zur mRNA-Herstellung eignet und liefern sie dem Kunden. In der Pandemie haben wir für das Biontech-Pfizer mRNA-Vakzin ein Start-Template für deren mRNAImpfstoff gegen Covid geliefert.

Der Covid-Impfstoff stammt also eigentlich von Biomay?
Huber: Das muss ich relativieren. Nur ein Teil von deren Gesamtbedarf kam von uns, wir waren nicht die einzigen Zulieferer. Ein substanzieller Anteil des Startmaterials zur Herstellung des Impfstoffs kam aber von Biomay.

Bei all dem greift die mRNA aber nicht in menschliche DNA ein?
Huber: Nein, denn dieser Weg ist nur von der DNA zu RNA möglich, umgekehrt funktioniert das zumindest in der menschlichen Zelle nicht. Die RNA wird nicht in die DNA eingebaut.

Verwenden Sie bei der Produktion auch die berühmte ‚Genschere‘, die seit einiger Zeit für Aufsehen sorgt?
Huber: Einfache Arten von Genscheren, die nur zum Schneiden von DNA verwendet werden, gibt es schon länger. Bei jener neuartigen Genschere, für die 2020 der Nobelpreis vergeben wurde, ist Biomay in der Tat involviert, aber ich kann aus Geheimhaltungsgründen nicht allzu viel dazu sagen. Ich kann so viel sagen, dass wir für ein Unternehmen diese Genschere CRISPR/Cas9 herstellen. Cas9 ist eine intelligente Genschere, die durch einen kurzen RNA-Code (‚Guide-RNA‘) individuell programmierbar wird. Dadurch kann man an ganz bestimmten Stellen im Genom schneiden, etwas einfügen oder etwas korrigieren. Damit lässt sich beispielsweise eine Krankheit korrigieren, die auf der Mutation eines einzelnen Proteins beruht, etwa wenn das Protein fehlt oder fehlerhaft ist. Dabei entnimmt man Rückenmarkszellen und führt anschließend mittels der Genschere das sogenannte Gene-Editing durch.

Biomay ist auf wesentlich mehr Gebieten tätig, als bekannt ist.
Huber: Der Kunde hat nicht immer ein Interesse daran, dass Projektdetails an die Öffentlichkeit dringen, oder er hat gerne die Kommunikation selbst in der Hand. Wir sind außerdem an Geheimhaltungsvereinbarungen gebunden. Die Außenwirkung hat nicht unsere höchste Priorität. Auf unsere Genschere sind wir aber schon sehr stolz, denn dieses Projekt ist relativ weit gediehen und wird bald für den Markt zugelassen.

Sie arbeiten mit E. coli-Bakterien. Da läuten bei vielen Menschen wohl die Alarmglocken.
Huber: E. coli ist ein Bakterium, das in höheren Organismen, wie in Wirbeltieren, natürlicherweise im Darmtrakt vorkommt. Es ist ein gewisser Bestandteil des natürlichen Darm-Mikrobioms, deshalb wird es in der Trinkwasseranalytik auch als Fäkalindikator herangezogen. Es gibt auch pathogene, also krankheitserregende E. coli- Stämme, die verschiedene Dünndarmerkrankungen auslösen können. Diese pathogenen Stämme verwenden wir nicht, und unsere Laborstämme besitzen diese krankmachenden Eigenschaften nicht. Sie befinden sich alle in der niedrigsten, also sichersten, biologischen Sicherheitsstufe und sind sozusagen ‚gute‘ E. coli-Bakterien. Bereits in den 1970er-Jahren wurde das erste Protein mit E. coli kloniert, und das Bakterium ist immer noch eines der Arbeitstiere in der biotechnologischen Produktion. E. coli ist einer der am besten untersuchten Organismen überhaupt, einfach zu handhaben und er hat sich über lange Jahre durchgesetzt.

Wie kam es zu Ihrem relativ neuen Standort in der Seestadt Aspern?
Huber: Wir haben die Anlage hier erst im Dezember 2021 fertiggestellt und bezogen, obwohl unsere Produktionsanlage in der Wiener Lazarettgasse nach wie vor besteht. Hier sind die Räumlichkeiten wesentlich größer. Wir wurden in der Seestadt von Beginn an sehr willkommen geheißen und haben hier einen kleinen Biotech-Hub begründet. Gegenüber von Biomay wird ein Standort von Hookipa Biotech entstehen, und Takeda Pharmaceutical wird ebenfalls in der Nähe bauen.

Gibt es in Österreich genügend Nachwuchs an Fachkräften in Ihrem Bereich?
Huber: Es war schon einfacher, gutes und ausreichend Personal zu finden, besonders wenn das Unternehmen im Wachstum ist wie unseres. Es gibt in Österreich und speziell im Wiener Raum einerseits traditionelle Universitäten, andererseits relativ neue Fachhochschulen, die die Themen Biotechnologie, Bioengineering und andere abdecken. Das Angebot an praxisbezogenen und wissenschaftlichen Ausbildungsmöglichkeiten und die Anzahl an Absolventen mit guter Qualifikation ist vorhanden. Es gibt auch einen Arbeitsmarkt, es sind Weltkonzerne und Start-ups in Wien tätig.

Müssten die Rahmenbedingungen des Standorts Österreich verbessert werden?
Huber: Ich möchte mich nicht beschweren, denn die Stadt Wien tut viel für den Life-Sciences-Bereich und für Standortansiedelungen. Aber es gibt andere Bundesländer, die das vernachlässigen oder andere Prioritäten setzen. Auch Niederösterreich hat in den vergangenen Jahrzehnten viel getan, in Tulln, Krems und Klosterneuburg sind Biotech-Hubs und Life Sciences-Zentren entstanden. Das Angebot an Ausbildungsstätten ist wie gesagt groß, und die Basis und das Know-how der Absolventen ist vorhanden. Unternehmen werden beim Start und in den frühen Phasen der Forschung unterstützt. Wenn es an die klinischen Phasen und in Richtung Markteinführung geht, ist der Kapitalmarkt in Österreich eher unterentwickelt. Davon sind wir aber nicht betroffen, denn wir wollen aus eigener Kraft organisch wachsen und keine externen Investoren hereinnehmen. Das haben wir bis jetzt gut gemeistert.

Was darf man sich von Biomay in näherer Zukunft erwarten?
Huber: Wir sind im produzierenden Bereich tätig und können im Rahmen der Produkte, die wir herstellen, Innovationen im Rahmen der Herstellungsprozesse umsetzen. Wir sind aber getrieben von den Innovationen unserer Kunden. Hier sehe ich durchaus revolutionäre Entwicklungen, wie bei Gentherapien, Covid-Vakzinen, mRNA-Produkten oder dem Gene-Editing mit CRISPR/Cas9. Wir leben in spannenden Zeiten. Hinzu kommt die personalisierte Herstellung von Wirkstoffen. Dabei designt unser Kunde patientenspezifisch ein Plasmid oder ein Vakzin, und wir produzieren eine Charge nur für einen einzigen Tumorpatienten. Das sind hochinnovative Therapien und Produkte. In Zukunft könnte der Bereich der synthetischen DNA interessant werden, die nicht mehr biotechnisch hergestellt wird, sondern eben enzymatisch-synthetisch, was eine Reihe von Vorteilen bringt. Das scheint der nächste große Schritt zu sein. Wir werden in den kommenden fünf Jahren Produkte sehen, von denen wir heute noch gar nichts wissen.