So wird Niederösterreich die Herausforderungen meistern

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Rezepte für die Zukunft: Die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts hochhalten und die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe stärken.

Niederösterreich ist flächenmäßig das größte Bundesland Österreichs mit den unterschiedlichsten Assets. Von modernsten Bildungseinrichtungen, über Industrie, Land- und Forstwirtschaft, Energieerzeugung und Tourismus – um nur einige zu nennen. Seit April 2017 lenkt Johanna Mikl-Leitner als Landeshauptfrau die Geschicke Niederösterreichs. Sie ortet eine sehr herausfordernde Situation für die Wirtschaft, blickt aber dennoch mit Zuversicht in die Zukunft.

Gibt es ein primäres Ziel für die niederösterreichische Wirtschaft, das Sie in Ihrer aktuellen Amtszeit unbedingt umsetzen bzw. erreichen möchten?
Johanna Mikl-Leitner: Unsere Wirtschaft befindet sich in einer sehr herausfordernden Situation. Betriebe, nicht nur in Niederösterreich, sondern in ganz Europa kämpfen mit den Folgen des Ukrainekriegs, mit den hohen Energiepreisen, mit der Inflation und teilweise auch noch mit den Lieferketten. Unser oberstes Ziel ist es daher, die Attraktivität Niederösterreichs als Wirtschaftsstandort hochzuhalten und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe zu stärken Das schaffen wir einerseits durch Innovationsaktivitäten und andererseits durch die Intensivierung der Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.

Wie unterstützt das Land diese Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft? Wie können wir uns das vorstellen?
Mikl-Leitner: Die Basis haben wir bereits vor rund 20 Jahren mit dem Start des Technopolprogramms geschaffen. Das Erfolgskonzept an unseren vier Technopolstandorten ist die enge Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und Ausbildung vor Ort. Heute sind die ecoplus-Technopole international renommierte Standorte für Spitzenforschung. Mindestens genauso wichtig ist der Technologietransfer hin zu kleinen und mittelständischen Betrieben. Das geschieht in Niederösterreich vorrangig im Rahmen der ecoplus Cluster NÖ, das sind Branchennetzwerke zu den Themen innovatives und nachhaltiges Bauen, Lebensmittel, Mechatronik und Kunststoff. Der Schwerpunkt der Clusterarbeit liegt auf überbetrieblichen Kooperationsprojekten, in denen die Unternehmen gemeinsam forschen, entwickeln und mit- und voneinander lernen – umgesetzt werden die Projekterkenntnisse wieder im eigenen Unternehmen. Dieses Konzept hat sich gerade auch in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten bewährt. Wenn sich Entwicklungen rasant beschleunigen – Stichwort Digitalisierung – oder Themen wie Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft stark an Bedeutung gewinnen, ist es oft erfolgversprechender, diese Herausforderungen in Kooperation mit anderen Unternehmen anzugehen, statt im Alleingang.
Ganz grundsätzlich: Der Wirtschaftsstandort Niederösterreich hat in den letzten Jahren eine hohe Innovationskraft bewiesen, und das brauchen wir auch, um die künftigen Herausforderungen zu stemmen. Daher bieten wir als Land umfassende Unterstützungsleistungen. Das geschieht beispielsweise mit gezielten Wirtschaftsförderungen, die Forschungs- und Technologieentwicklungsvorhaben im Fokus haben. Dabei werden zusätzlich zu unseren Landesmitteln auch hohe Summen aus den EU-Fördertöpfen eingesetzt.

‚Die Wirtschaftsstrategie Niederösterreich ist auf neue, kreative Lösungen und Innovation fokussiert‘ (von land-noe.at aus 2020). Wie sehen diese aus?
Mikl-Leitner: Neue, kreative Lösungen bieten beispielsweise unsere Spin-offs und Start-ups, denen wir in Niederösterreich beste Rahmenbedingungen zum Wachsen bieten wollen. Ich denke da beispielsweise an accent – unseren Hightech-Inkubator, der Startups von der Idee bis zur Unternehmensgründung begleitet, oder tecnet, die niederösterreichische Forscherinnen und Forscher und Gründerinnen und Gründer bei der Überführung ihrer Forschungsergebnisse in marktfähige Produkte und Dienstleistungen unterstützt. Eines ist klar: Wir dürfen uns auf vergangenen Strategien nicht ausruhen. Jetzt geht es darum, uns für die Zukunft gut aufzustellen. Ziel ist es, bis 2030 die dynamischste Wirtschaftsregion Europas zu werden. Wir wollen für jede Region in Niederösterreich eine Wirtschaftsvision entwickeln und diese mit ganz konkreten Maßnahmen versehen. Daran arbeiten wir mit der Wirtschaft.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich Niederösterreich als blühender Bildungsstandort positioniert. Gibt es Bestrebungen, die Bildungsangebote – (Privat-) Universitäten und Fachhochschulen – weiter auszubauen?
Mikl-Leitner: Selbstverständlich, denn wir wollen Niederösterreich als Spitzenregion in Europa weiter ausbauen und das gelingt uns nur, wenn wir die besten Köpfe für unseren Standort begeistern können. Bestmögliche Studienbedingungen an den heimischen Fachhochschulen sind dafür die Basis. 110 zusätzlichen FH-Studienplätze wurden erst kürzlich in den MINT-Fächern für niederösterreichische Fachhochschulen genehmigt. Für die großen Fragen, die uns heute beschäftigen, wie Energiewende, Gesundheit und schwere Erkrankungen oder der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, braucht es die Wissenschaft und Forschung. Die neuen Studienplätze unterstützen unser Land auf diesem Weg in die Zukunft.

Wie steht es nach den letzten Jahren, in denen die Gastgeber vor großen Herausforderungen standen, um den Tourismus in Niederösterreich?
Mikl-Leitner: Die bisherige Jahresbilanz verläuft trotz Inflation sehr positiv, Niederösterreichs Touristikerinnen und Touristiker haben aber heuer noch viel vor. Von Jänner bis Juni verzeichnete Niederösterreich rund 3,3 Millionen Nächtigungen. Das bedeutet ein sattes Plus von 17 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres. Im Vergleich zum Jänner bis Juni 2019 liegt Niederösterreich nur noch fünf Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Wir sind überzeugt, dass Niederösterreichs Touristikerinnen und Touristiker auch in den kommenden Monaten mit einer guten Nachfrage rechnen können. Wir haben uns darauf konzentriert, unsere Alleinstellungsmerkmale wie den Rad-, Wein- und Kulturtourismus in den Fokus zu rücken. Besonders in diesen Bereichen können wir unseren Gästen unvergessliche Erlebnisse bieten.

Durch den Klimawandel wird es vor allem um den Wintertourismus in Zukunft schlecht bestellt sein. Muss sich hier der niederösterreichische Tourismus, der ja nicht mit sehr hohen Bergen und damit Schneesicherheit ausgestattet ist, neu aufstellen? Welche Ideen hätten Sie dazu?
Mikl-Leitner: Wir gehen in Niederösterreich seit mehr als zehn Jahren konsequent den Weg, unsere Skigebiete in ganzjährige Bergerlebniszentren weiterzuentwickeln. Die Wexl Arena in St. Corona am Wechsel ist ein auch international vielbeachtetes Beispiel dafür, wie aus einem Skigebiet durch gezielte Angebotsentwicklung ein das ganze Jahr über hoch attraktiver Tourismusort werden kann. Die Annaberger Lifte haben 2019 mit dem Sommerbetrieb begonnen, heuer lockten die Zipline und das Familienangebot am Hennesteck bereits mehr als 10.000 Gäste an. Letzte Weihnachten waren aufgrund der ungewöhnlich hohen Temperaturen sowohl klassische Winter- als auch Sommerangebote für kurze Zeit parallel in Betrieb. Unsere Bergbahnen sind also bereits sehr kreativ und flexibel, sie passen sich den äußeren Bedingungen an. Für die Bergregionen gilt es, die Chancen des Klimawandels touristisch zu nutzen. Bei großer Hitze in der Stadt suchen jetzt schon viele Menschen Erholung und Kühle in den Bergen.

Die Digitalisierung unseres Lebens hat durch die Pandemie einen enormen Schub bekommen, und die Entwicklung nimmt weiter Fahrt auf. Da mitzuhalten, ist für Unternehmen nicht einfach. Welche Aktivitäten wurden in Niederösterreich bisher gesetzt?
Mikl-Leitner: In der Pandemie und auch in der aktuellen Energiekrise waren wir oft zu einer anlassbezogenen Wirtschaftspolitik gezwungen. Die Ereignisse haben sich überschlagen, die Entscheidungen mussten rasch getroffen werden. Daraus ist zum Beispiel die erste Digitalisierungsförderung des Landes gemeinsam mit der WKNÖ entstanden, um unter anderem Betrieben im Lockdown zu helfen. Mit diesem wirtschaftspolitischen Schuss aus der Hüfte haben wir voll ins Schwarze getroffen: In der Digitalisierung ist unsere Wirtschaft definitiv auf dem Vormarsch. Mittlerweile haben wir seit 2020 über 1.500 Projekte unserer Unternehmen mit dieser Förderung unterstützt.
Wir konnten so schnell und zielgerichtet reagieren, weil wir im Bereich Digitalisierung bereits 2015 erste Maßnahmen gesetzt haben, um die Unternehmen bei ihren Digitalisierungsplänen zu unterstützen, und seit 2018 gibt eine eigene NÖ Digitalisierungsstrategie den Weg vor.
Das Leuchtturmprojekt dieser Strategie ist das ‚Haus der Digitalisierung‘, das von ecoplus in Tulln errichtet wurde und seit Ende letzten Jahres in Vollbetrieb ist. Es informiert nicht nur im Rahmen einer jährlich wechselnden Ausstellung die Bevölkerung quer durch alle Altersgruppen, sondern hier findet sich auch Niederösterreichs umfassendstes Angebot zum Thema Digitalisierung unter einem Dach – das reale Haus der Digitalisierung ist die zentrale Anlaufstelle für Unternehmen ebenso wie für Expertinnen und Experten im Digitalisierungsbereich; hier sind alle relevanten Einrichtungen und Institutionen vertreten.

Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sind große Zukunftsthemen – wie ist diese sogenannte Green Transformation für unsere Unternehmen zu bewältigen und wo soll Ihrer Meinung nach die Reise hinführen?
Mikl-Leitner: In Niederösterreich sind wir davon überzeugt, dass sich Klimaschutz und Wirtschaftswachstum nicht ausschließen, sondern dass nachhaltiges und ressourcenschonendes Wirtschaften eine wichtige Basis für künftiges Wirtschaftswachstum und neue, regionale Arbeitsplätze ist.
Daher wollen wir Niederösterreich langfristig zu einer der führenden Green Smart Regions Europas machen: Wir unterstützen die Investitionen in nachhaltige Projekte etwa durch einen Öko- Bonus, zum Beispiel wenn Unternehmen alte Betriebsgebäude revitalisieren. Wir setzen mit unserer Wirtschaftsagentur ecoplus ein Aktionsprogramm zur ökologischen Standortentwicklung um, das Gemeinden dabei unterstützt, bestehende Betriebsgebiete klimafit aufzuwerten; wir beschäftigen uns intensiv mit dem Thema Brachflächenrecycling. Und wir wollen Niederösterreich zum Zentrum der Kreislaufwirtschaft in Österreich machen. Mit tollen Firmen, die dieses Zukunftsthema schon heute erfolgreich bearbeiten, haben wir hier unglaubliches Potenzial. Die Entwicklung dieser ‚grünen Transformation‘ treiben wir mit einer 2021 gegründeten ecoplus-Plattform für Green Transformation & Bioökonomie voran.