Wie eine KI aus Wien zu einem Top 5-Produkt weltweit wurde

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„deepassist“ nennt sich eine Künstliche Intelligenz, die sowohl schriftliche wie auch telefonische Kundenanfragen beantwortet.

Weltweit unter den Top Five bei Natural Language Technologies zu sein, ist ein großer Erfolg für „deepassist“. Gegründet von Roland Fleischhacker, spielt man in der Oberliga, was KI bei der Text- und Spracherkennung betrifft.
Die KI-Lösung ist vortrainiert und unmittelbar für alle Kanäle des Kunden nutzbar. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, wie deepassist das Kundenservice radikal beschleunigt: Die „Stadt Wien – Wiener Wohnen“ ist eine der größten Hausverwaltungen Europas, bei der 550.000 Kunden rund um die Uhr betreut und etwa 1.000 unterschiedliche Themen bearbeitet werden. deepassist unterstützt in diesem Fall die Agents in Echtzeit – wodurch die Handling-Time stark reduziert und die Lösungsrate im Erstkontakt signifikant gesteigert wird. Zudem dauert das Onboarding neuer Mitarbeiter nun lediglich einige Tage statt Wochen.
CEO Roland Fleischhacker erklärt, was hinter dieser bahnbrechenden Technik steckt und wo sie bereits erfolgreich angewendet wird.

Was macht‘deepsearch‘ in Verbindung mit deepassist?
Roland Fleischhacker: Wir haben ein Produkt, das nennt sich deepassist, wobei der Name Programm ist. Der Begriff ‚deep‘ steht seit einiger Zeit für Anwendungen von Künstlicher Intelligenz. Als wir im Jahr 2010 den Namen deepsearch erfunden haben, gab es diese Metapher noch nicht. Unsere Zielsetzung ist, dass eine Maschine auf menschlichem Niveau Texte interpretieren kann. Sprache im weitesten Sinn, ob geschrieben oder gesprochen, ist sowohl im privaten als auch geschäftlichen Umfeld ein omnipräsentes Phänomen. Wenn man Sprache automatisiert interpretieren kann, ergeben sich eine Menge Anwendungen. Dokumente können besser klassifiziert und wiedergefunden werden. Das gilt für E-Mail, aber auch Telefongespräche. Damit wird die Kommunikation unterstützt und gegebenenfalls auch automatisiert. ‚deep‘ steht dabei für KI und ‚assist‘ dafür, dass wir Unternehmen helfen wollen, Prozesse damit zu unterstützen.

Wobei können Sie Unternehmen unter die Arme greifen?
Fleischhacker: Auf vielfältige Art. Etwa bei E-Mails, die von der KI gelesen und verstanden und an die richtige Person zur Bearbeitung weitergeleitet werden. Das ist unser einfachster Anwendungsfall.

Wie erkennt das deepassist?
Fleischhacker: Der Text wird gelesen, und wir transformieren die wichtigsten Elemente, worum es geht und die wichtigsten Informationen, in ein definiertes Format. Damit wird es für andere Systeme ebenfalls lesbar und verstehbar, die es danach verarbeiten. Ein Beispiel: Möchte jemand seinen Mobiltelefonvertrag kündigen, dann ist eine Kundennummer, eine Vertragsnummer und das Datum der gewünschten Vertragsauflösung vorhanden. Danach werden die Informationen an ein Mail- oder Ticketing-System übergeben. Dieses System nimmt diese Informationen in strukturierter Form auf und startet einen bestimmten Workflow. Weiterführend ist, wenn schon davor von der KI genau erkannt wurde, worum es geht und alle benötigten Informationen bereits vorhanden sind. Diese werden dann nicht an eine Person weitergeleitet, sondern automatisiert verarbeitet.

Eingehende Texte werden also automatisch beantwortet?
Fleischhacker: Ja. Wir müssen oft sogar eine verzögernde Zeitschleife einbauen, da der Kunde es nicht verstehen würde, weshalb sein Anliegen sofort, innerhalb von wenigen Sekunden, erledigt und beantwortet wird.

Funktioniert das mit allen Sprachen?
Fleischhacker: Theoretisch ja. Wir haben eine eigene Technik entwickelt, die völlig anders funktioniert als 99 Prozent der anderen Systeme, die auf neuronalen Netzwerken aufbauen. Unsere KI ist semantisch und pragmatisch und reagiert nicht auf statische Muster, sondern versteht tatsächlich, worum es geht. Das System kann auch zwischen den Zeilen lesen. Diese Technik lassen wir derzeit für den amerikanischen Markt patentieren.

Wo kann diese Art der KI eingesetzt werden?
Fleischhacker: Vorwiegend im Kunden-, aber auch im Mitarbeiterservice. Gerade beim Kundenservice sind Kunden oft nicht in der Lage oder willens genug, exakt zu vermitteln, was sie wollen. Sie können ihr Anliegen oft nicht in Worte fassen, sondern etwa nur Symptome erklären oder reden um den heißen Brei herum. Hier stellt unser System Hypothesen auf, was der Kunde eigentlich mitteilen möchte. Das funktioniert nicht nur bei E-Mails, sondern auch bei Anrufen in Realtime.

Was im Normalfall ein empathisch talentierter Mensch kann, kann auch die Maschine?
Fleischhacker: Genau. Sie bereitet die Informationen vor, und ein Mitarbeiter kann danach proaktiv auf den Kunden zugehen. Das verbessert das Kundenerlebnis maßgeblich, wenn man bereits zuvor vom System erfahren hat, was der Kunde möchte, ohne dass er es gesagt hat.

Führt deepassist auch Dialoge oder gibt es nur Antworten?
Fleischhacker: Wir führen keinen Dialog, aber wir können unser System mit einem Chatbot verbinden, der dialogfähig ist.

Wie hoch ist die Fehlerquote bei deepassist?
Fleischhacker: Es gibt eine Art gläserne Decke bei der Erkennung, das sind etwa 95 bis 98 Prozent.

Gibt es manchmal falsche Antworten?
Fleischhacker: Jein, es kommt eher vor, dass die Antwort nicht eindeutig ist. Wenn ein Telefonat nicht eindeutig ist, bedarf es oft einer Nachfrage. Aber wir haben etwa viele Ausdrücke aus dem Wiener Dialektwörterbuch ins System aufgenommen, damit wir auch dialektspezifische Wörter, wie etwa ‚Coloniakübel‘, verstehen. Wir müssen auch erkennen, wenn jemand etwas anderes meint als er sagt. So sprechen viele Menschen bei Zahlungen zum Beispiel noch von einem Dauerauftrag, obwohl sie ein SEPA-Mandat meinen.

Kann deepassist die Lösung für den Mitarbeitermangel bei Callcentern sein?
Fleischhacker: Ja, denn derzeit bekommt man kaum Personal. Die Erwartungshaltung der Kunden wird immer größer, und die Aufgabenstellungen werden immer komplexer. Gerade bei hochfrequenten und hochrepetitiven Anfragen, besonders im Bereich E-Mail, bringt unser System große Vorteile. Das sind etwa Reklamationen, die Änderung von Kontonummern und Ähnliches. Ein manuelles Bearbeiten solcher E-Mails dauert zwischen sieben und neun Minuten, bei uns zwei CPU-Sekunden.

Wie lange benötigt deepsearch, um eine deepassist-Anwendung für einen Kunden nutzbar zu machen? Wie lange dauert der Programmierungsprozess?
Fleischhacker: Kunden wollen keine lang dauernden, teuren oder riskanten Produkte. Deshalb war von Beginn an eine der Grundprämissen bei der Entwicklung von deepassist, dass es ganz einfach, ganz rasch zu implementieren und transparent ist. Das Kundenservice einer Bank ist gänzlich anders als das einer Investmentbank, eines Energieversorgers oder eines Online-Shops. Wir nennen das Domain-Sprache. Also muss ich erkennen, was der Kunde sagt, also die Domain- Sprache verstehen, und ich muss die Lösungsprozesse kennen, die bestimmte Anforderungen auslösen. Das liefern wir in Form von Branchenlösungen.
Wir haben vorprogrammierte Systeme, die nicht nur verstehen, was der Kunde sagt, sondern auch einen Lösungskatalog von Prozessvorlagen, der von Kunde zu Kunde variiert. Bei den Stadtwerken Hamm, einem Kunden in Deutschland, dauerte die Implementierung unserer Branchenlösung für Energieversorger nur fünf Tage. Das schaffen andere Anbieter erst in Monaten. Es gibt also fixfertige Branchenlösungen wie für Facility Services großer Hausverwaltungen ab 15.000 Wohneinheiten und Public Transport, wie Bahnen oder Airlines. Aktuell arbeiten wir an Branchenlösungen für Versicherungsunternehmen und Retail Banking.

Lassen sich einzelne Branchenlösungen von einem Land in ein anderes übertragen?
Fleischhacker: Ja. Es gibt gewisse Themen, die sind branchenübergreifend, wie Adressänderungen oder Änderungen bei Bankkonten. Was Sprachen anbetrifft, geht es eher um den Kulturkreis. Italiener sprechen bei einem Anruf in einem Callcenter viel mehr, machen mehr Smalltalk als Menschen aus anderen Ländern. Das macht es schwieriger, denn je länger ein Gespräch dauert und es geht nicht um das eigentliche Thema des Anrufs, desto mehr Hypothesen stellt das System auf, worum es sich tatsächlich handeln könnte. Dann benötigt das System mehr Kontext, um erkennen zu können, worum es wirklich geht. Wir haben ein System entwickelt, das auf semantischen Bausteinen basiert – angelehnt an Lego. Es gibt also einen Karton voll mit Bausteinen und wir liefern ein Modell. Einzelne Teile davon können dabei für den Kunden individuell mit denselben Bausteinen umgebaut werden.

Welche Märkte sind im Fokus von deepsearch?
Fleischhacker: Heute ist das der D-A-CH-Raum. 2023 ist für uns das Vorbereitungsjahr, um aus dem D-A-CH-Raum hinauszugehen.