Wie mithilfe von Extremophilen Spritzen ersetzt werden können

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Von der Technischen Universität zum eigenen Biotech-Start-up, das die Medizin revolutionieren könnte: Die Hauptrolle spielen Mikroorganismen.

Drei Absolventen der TU Wien setzten sich ein ehrgeiziges Ziel: Mit der Hilfe von Lipiden sollen in Zukunft Medikamente und Impfstoffe geschluckt und nicht mehr gespritzt werden. Damit wird nicht nur Menschen mit Angst vor Injektionen geholfen – auch die Effektivität und die Lagerfähigkeit von Wirkstoffen werden gesteigert. Julian Quehenberger, Oliver Spadiut und David Wurm wagten mit ihrer Firma NovoArc den erfolgreichen Sprung in die Selbstständigkeit. Was hinter dem ambitionierten Projekt steht, erklärt David Wurm, einer der drei Gründer des Biotech- Start-ups aus Wien.

Was macht NovoArc, einfach beschrieben?
David Wurm: NovoArc ist ein Produzent für Spezialchemikalien für die pharmazeutische Industrie. Unsere Lipide werden eingesetzt, um pharmazeutische Wirkstoffe dem Patienten besser verabreichen zu können. Man kennt das Prinzip von den Corona-Impfstoffen, in denen auch Lipid-Nanopartikel eingesetzt werden, um die mRNA zu schützen. Wir verwenden ähnliche Lipide, diese sind allerdings weitaus stabiler als derzeit verfügbare Lipide. Wir möchten Stoffe, die derzeit gespritzt werden müssen, oral verfügbar machen, damit Menschen, die Angst vor Spritzen haben, eine Tablette schlucken können. Das gilt für eine Vielzahl an Medikamenten wie Antibiotika oder Krebstherapeutika. Der Heilige Gral wäre das Insulin, aber bis dahin ist es noch eine weite Reise. Wirkstoffe, die durch unsere Lipidhülle geschützt sind, werden im Magen durch Säuren nicht zersetzt oder von Enzymen abgebaut; sie werden durchtransportiert, bleiben danach an der Darmschleimhaut kleben und geben langsam den Wirkstoff ab, wodurch er leicht vom Körper aufgenommen wird. Aufgrund der stabilisierenden Schutzhülle müssen viele Wirkstoffe nicht bei minus 70 Grad, sondern vielleicht nur bei vier Grad oder sogar bei Raumtemperatur gelagert werden.

Dieses Prinzip haben Sie entwickelt?
Wurm: Diese Art von Molekülen, also Lipide, gibt es schon seit einiger Zeit. Bisher hatte es noch niemand geschafft, diese Stoffe in ausreichender Qualität und Quantität für die pharmazeutische Industrie herzustellen. Wir können das sowohl reproduzierbar, als auch skalierbar in großem Maßstab. Dafür halten wir ein Patent.

Von der TU Wien zum Firmengründer – was war der entscheidende Moment, diesen Schritt zu wagen?
Wurm: Das war eine einzigartige Möglichkeit. Zum einen war die Technologie etwas Spannendes. Aufgrund des Feedbacks der Industrie, aber auch von Investoren, haben wir das Potenzial erkannt. Zum anderen gab es das Gründerteam. Wir waren uns bewusst, dass es so eine Chance nicht oft gibt und man sie beim Schopf packen muss. Deshalb haben wir uns entschlossen, nicht den klassischen Uni- oder Pharma-Weg einzuschlagen, sondern das Risiko einzugehen, eine eigene Firma zu gründen.

Überwiegt nun das Forscher-Gen oder der Geschäftssinn?
Wurm: Es war eine schöne Möglichkeit, das Beste aus beiden Welten zu haben. Wir werden weiterhin sehr forschungsgetrieben sein, diesen Teil übernimmt unser Co-Founder Julian Quehenberger als CTO. Ich beschäftige mich stark mit Business Development, mit Kunden, dem Marketing und dem wirtschaftlichen Teil, habe aber weiterhin den Bezug zur Wissenschaft. Ich war schon immer an der angewandten Forschung interessiert und nicht so sehr an der Grundlagenforschung. Es ist spannend, den Life Cycle von der Grundlagenforschung bis zum Produkt zu verfolgen.

Bis 2025 soll eine eigene Produktionsanlage stehen. Wie schwierig war die Finanzierung?
Wurm: Wir finanzieren uns derzeit über drei Säulen – einerseits sind das öffentliche Förderungen wie zum Beispiel FFG und der AWS, und wir haben bereits zahlende Kunden, an die wir Lipide verkaufen oder für die wir Aufträge abwickeln. Und wir haben natürlich einen finanzkräftigen Investor. Das ermöglichte uns auch, zu expandieren. Im Juni 2023 haben wir unsere neue Facility in Wien beim Bahnhof Meidling mit 400 Quadratmetern bezogen, das ist eine Mischung aus Labor- und Bürofläche. Für die Jahre 2025/26 erwarten wir, dass der Bedarf durch Kundenaufträge so groß ist, dass wir das in der Facility in Meidling nicht mehr abbilden können und dementsprechend weiter expandieren müssen.

Wann ist es so weit, dass die Pille die Spritze ablöst?
Wurm: Früher ging man bei der Entwicklung eines neuen Medikaments davon aus, dass es zehn bis 15 Jahre dauert, bis es auf den Markt kommt. Durch Corona haben wir gelernt, dass das auch schneller geht. Dementsprechend sind wir zuversichtlich, dass das rascher funktionieren könnte. Wir sind bereits mit einigen Firmen in Kontakt, die unsere Technologie testen, und wir führen präklinische Studien durch.

Es heißt immer, dass es in Österreich zu viele Hindernisse für eine rasche und unkomplizierte Zulassung von Medikamenten gibt.
Wurm: Es ist wichtig, dass Medikamente gut geprüft und sicher sind, bevor sie auf den Markt kommen. Es gibt natürlich Länder, in denen man rascher eine Zulassung bekommt. Wir sind Österreich sehr verbunden, denn alle drei Gründer sind hier aufgewachsen und wir wollen den Hauptstandort in Österreich belassen. Aber natürlich planen wir die Expansion in andere Länder und Märkte.

Gibt es bereits Patente für Ihre Lipide?
Wurm: Bereits zu der Zeit, als wir noch an der TU Wien waren, haben wir den Produktionsprozess zum Patent eingereicht und es im April beim Europäischen Patentamt auch erhalten. Wir haben ebenfalls ein weltweites Patent angemeldet, was rasch voranschreitet. Auch beim zweiten Anwendungsgebiet unserer Lipide, der Gabe von mRNA-Impfstoffen, konnten wir in Versuchen mit Zellkulturen zeigen, dass wir um den Faktor zehn bis 90 effizienter sind. Mit einer herkömmlichen Impfdosis, wie sie durch eine Spritze verabreicht wird, könnte man mit unseren Lipiden zehn bis 90 Menschen impfen. Auch dieses Verfahren haben wir im Herbst 2022 zum Patent angemeldet.

Wann könnten NovoArc-Produkte bei der Krebstherapie eine maßgebliche Rolle spielen?
Wurm: Man muss vorausschicken, dass wir keine Wirkstoffe herstellen. Unser USP ist, dass wir Wirkstoffe schützen und diese einfacher und besser für den Patienten verfügbar machen können. Im Normallfall kontaktiert uns ein pharmazeutisches Unternehmen, dessen Wirkstoff z.B. eine schlechte Stabilität aufweist oder vom Körper schlecht aufgenommen wird. Wir wählen die geeigneten Lipide aus, produzieren sie und verpacken den Wirkstoff in ihnen. Wenn die Testergebnisse gut sind, bringt der Wirkstoffhersteller mit unserer Verpackung, den Lipiden, das Medikament auf den Markt. Dementsprechend werden wir selbst kein neues Krebstherapeutikum auf den Markt bringen. Bei herkömmlichen Therapien müssen Menschen oft mehrmals täglich zum Arzt oder ins Spital. Ich bin überzeugt, dass wir mit unserer Technologie einen Beitrag zur Lebensqualität der Patienten leisten können.

Was sind thermoacidophile Archaeen und welche Rolle spielen diese Mikroorganismen bei Ihren Produkten?
Wurm: Das ist unser Haustier, unser Produktionsorganismus, den wir verwenden, um Lipide herzustellen. Der Organismus wurde aus heißen, schwefelhaltigen Quellen aus dem Yellowstone National Park isoliert und fühlt sich bei extremen Bedingungen, wie pH 3 und 80 Grad Temperatur am wohlsten. Dementsprechend stabil ist seine Zellmembrane, in der sich die Lipide befinden, die wir herausextrahieren, reinigen und als unser Produkt verwenden. Der Organismus wächst normalerweise sehr langsam. Es war nicht einfach und hat lange gedauert, hier einen industriellen Produktionsprozess zu entwickeln.

Sie betreiben in Wien-Meidling also quasi eine Hexenküche, um diese Umgebung zu schaffen?
Wurm: Wir versuchen, jene Bedingungen, die der Organismus in der Natur vorfindet, nachzustellen und so zu optimieren, dass er schneller wächst und noch mehr produziert. Das findet natürlich in einer sehr gut kontrollierten Umgebung statt, damit wir immer dieselbe Produktqualität erzielen. Dafür verwenden wir Fermentoren. Das sind Stahlgefäße, in denen wir die Temperatur, den pH-Wert und andere Parameter steuern, begasen und rühren, sodass sich der Organismus wohlfühlt, gedeiht und wächst.

Gibt es weiterhin eine Kooperation mit der TU Wien?
Wurm: Wir haben einige Projekte in Kooperation mit der TU abgewickelt, und es wird auf wissenschaftlicher Ebene und was die Infrastruktur betrifft auch in Zukunft Kooperationen geben.

Ist Österreich ein guter Boden für Start-ups? Was könnte man verbessern, um den Standort für Biotech interessanter zu machen?
Wurm: In Österreich gibt es für die Start-up-Welt einige Angebote, wie gute Förderprogramme und Unterstützungen von der AWS, bei denen Gründer motiviert werden, diesen Schritt zu wagen. Was den Start betrifft, ist Österreich im Vergleich zu anderen Ländern ganz gut aufgestellt. Nach der Startphase, nach ein bis drei Jahren, gäbe es Verbesserungspotenzial, damit es dann Unterstützungen in welcher Form auch immer gibt. Was die Richtlinien von österreichischen und europäischen Investoren betrifft, sind die nicht besonders Risiko-affin wie in den USA. Generell ist Österreich aber ein guter Standort, um ein Biotech-Start-up zu gründen.

Wann gibt es NovoArc-Aktien zu kaufen?
Wurm: Ein Börsegang ist derzeit noch nicht geplant, aber wir sind auch nicht exit-getrieben.